„Einfach voll gral grade“

■ Ein Gespräch mit der Regisseurin Sandra Strunz über ihre Parzifal-Inszenierung auf Kampnagel und die ewige Suche nach dem doofen Glück

Schon mit ihrer Diplominszenierung Meine erste Frau hieß Zwieback anno 1997 sorgte die Regieschulabsolventin für Furore weit über die Theatergrenzen Hamburgs hinaus. Mittlerweile zählt Sandra Strunz im deutschsprachigen Raum zu den profiliertesten RegisseurInnen ihrer Generation. Die 31-Jährige steht für ein waghalsiges, bilderreiches Erzähltheater, ihr spezielles Interesse gilt Biografien, „fertige“ Stücke mag sie nicht. Ihre letzte Kampnagel-Produktion hieß Lucas, Ich und Mich, eine dramatische Bearbeitung von Agota Kristofs Romantrilogie Das große Heft/Der Beweis/Die dritte Lüge, und im September brachte sie in Luzern Thomas Bernhards Romandebüt Frost auf die Bühne. Jetzt zeigt sie Parzifal nach dem Versepos Wolfram von Eschenbachs – als Suche heutiger junger Menschen nach dem Glück.

taz hamburg: Verstehst Du Mittelhochdeutsch?

Sandra Strunz: Nö. Wenn ich es lese, verstehe ich lediglich einen Bruchteil. Und beim Zuhören denke ich nur: Oh, klingt schön, was die da sagen. Aber es wird einige mittelhochdeutsche Passagen im Stück geben.

Wie nahe ist denn Deine Fassung am Original von Wolfram von Eschenbach beziehungsweise der Übersetzung von Dieter Kühn?

Sehr nahe. So etwa 80, 90 Prozent dessen, was gesprochen wird, ist Originaltext.

Wie bist Du auf Parzifal gestoßen?

Ich habe zufällig den Fernseher eingeschaltet, und da lief zufällig ein uralter Merlin-Film. Da ist mir eingefallen, dass ja Merlin von Tankred Dorst in meinem Bücherregal steht. Das habe ich noch mal gelesen, und dann ist mir eingefallen, dass ich auch Parzifal von Eschenbach in meinem Bücherregal habe. So kam eines zum anderen, und irgendwann wusste ich, dass mich die Geschichte interessiert: das Thema, die Sprache und natürlich das Biografische, wie bei allen meinen Arbeiten.

Welches der Themen im Parzifal hat Dich am meisten interessiert?

Diese Sache, dass da so ein Naivling und Trottel auszieht, um das Glück zu suchen – wo sich ja immer alle fragen: Was ist denn dieses doofe Glück, und was wollen wir eigentlich in unserem Leben? Und dass da jemand die Bestimmung hat, den Gral zu finden, und es ihm trotzdem nicht auf Anhieb gelingt. Er kriegt nichts geschenkt und muss einen Weg zurücklegen, eine Entwicklung durchmachen: eben „durch das Tal“, das heißt ja „Par-zi-fal“. Er reitet in den Wald hinein, also: ins Leben. Er schließt keine Lebensversicherung ab, und er übt auch kein Glücklich-sein, er belegt keine Yogakurse, meditiert nicht und liest nicht diese Ratgeberliteratur, von der unsere Welt so voll ist. Dabei hat er eine unheimliche Kraft, und er will etwas, auch wenn er nicht genau weiß, was. Bei ihm ist alles unkalkuliert, abenteuerlich, lustvoll. Er hat ein starkes Vertrauen ins Leben, aber er muss auch richtig, richtig leiden. Und Leiden oder Melancholie sind in unserer Gesellschaft ja eigentlich total verpönt, da setzen wir immer sofort etwas dagegen.

Bei Eschenbach findet Parzifal am Ende das perfekte Glück.

Das ist bei uns natürlich gebrochener, offener, fragwürdiger. Denn was das Glück nun wirklich ist, darauf kann ich keine Antwort geben. Aber auch bei Eschenbach ist die Geschichte zuende, wenn Parzifal den Gral gefunden hat – den Post-Gral-Zustand gibt es nicht.

Wie konkret wird denn der Gral in Deiner Inszenierung?

Es gibt ein Objekt, der Gral ist bei uns etwas, aber was, verrate ich jetzt nicht. Jedenfalls war es ganz schwer, sich damit auseinanderzusetzen: Nehmen wir eine Kloschüssel oder einen Pokal oder was? Aber man kommt im Theater nicht darum herum, etwas zu zeigen, und das wäre ja sonst auch irgendwie öde. Und dann gibt es für mich Momente während der Arbeit, wo ich es „gral“ finde: „Einfach voll gral grade.“ Also, wir sagen nicht mehr „geil“, sondern „gral“.

Du benutzt ja sonst immer eher unbekannte Stoffe. Hat es jetzt für Dich einen Unterschied gemacht, die Kenntnis der Story beim Publikum voraussetzen zu können?

Eigentlich nicht. Die Geschichte ist halt einfacher zu erzählen. Bei Lucas, Ich und Mich sind wir fast gestorben, weil die Konstruktion so höllisch schwierig war. Und zusammen mit Niklaus Helbling haben wir auch eine sehr gute Textfassung erarbeitet.

Der Text lag bei Probenbeginn schon komplett vor?

Diese Tendenz wird bei meinen Arbeiten stärker. Dass wir so viel von der ursprünglichen Fassung verwenden, ist schon außergewöhnlich. Das hängt aber auch mit der Erfahrung meines Dramaturgen zusammen.

Heißt das umgekehrt, dass der Einfluss der Schauspieler weniger wird?

Nein, der ist immer noch riesig. Schauspieler sind für mich einfach die Größten. Ohne deren Lust und Fantasie und Ideen und Spielwonne ist das Stück doch bloß Trockenobst in meinem Kopf.

Interview: Ralf Poerschke

Premiere: Mi, 16. Februar, 19.30 Uhr, k1