„Buddhismus ist harte Arbeit“

■ Yungchen Lhamo ist die bekannteste Stimme Tibets – zumindest in musikalischer Hinsicht. Die Sängerin über das Fortleben der Tradition unter den Bedingungen von Flucht und Exil, über den Buddhismus-Boom im Westen und ihre Rolle als Vorzeigefrau

taz: Von Tibet herrscht im Westen ein recht idealistisches Bild. Wie begegnen Sie dem als tibetische Sängerin?

Yungchen Lhamo: Es stimmt, viele Leute haben eine sehr romantische Vorstellung von Tibet: Mönche, Nonnen, Himalaya ... Die tatsächliche Situation sieht anders und wirklich nicht gut aus. Deswegen müssen die Leute hören, was dort passiert – weil man im Fernsehen keine Bilder sehen kann.

Wie halten Sie sich über die aktuelle Lage in Tibet auf dem Laufenden?

Ich gehe jedes Jahr für mindestens sechs Wochen nach Indien, nach Dharamsala, wo mein Sohn zur Schule geht. Dort treffe ich immer viele Flüchtlinge, die erst kürzlich aus Tibet gekommen sind, oder Westler, die dort gereist sind. Auch das Internet bietet neue Wege der Kommunikation. Aber es ist nicht ganz verlässlich, und es wird vom Staat kontrolliert.

Wie ist die Lage für die Musik in Tibet?

Es ist wie mit jeder alten Kultur, die erst vor kurzem mit der Moderne in Kontakt gekommen ist, und das durch einen Akt des Kolonialismus. Es gab in der Geschichte Tibets eine ganze Reihe großer Sänger, im Bereich der tibetischen Oper wie auch der Volksmusik. Diese Tradition hält sich noch unter chinesischer Herrschaft, aber an den Rändern franst sie immer mehr aus. Musiker in Tibet stehen heute unter einem großen Druck, in der chinesischen Pop-Industrie zu singen.

Sehen Sie sich als Bewahrerin der Tradition?

Wenn die eigene Kultur von der Auslöschung bedroht ist, verspürt man schon eine gewisse Verantwortung seinen Wurzeln gegenüber. Aber man muss versuchen, eine kreative Antwort auf die Situation zu finden, darf nicht so tun, als ob die Dinge noch immer so wären wie vor fünfzig Jahren. Museumsstück oder Künstler – das ist der Unterschied. Ich singe a capella, weil ich ein Flüchtling bin. Ich habe meine Heimat und meine Kultur verloren, alles, was ich mit mir trage, ist das, was ich in mir trage. In einer gewissen Weise ist das ein Bruch mit der Tradition, in anderer Weise bildet es eine neue Tradition – weil so viele Menschen Flüchtlinge sind. Doch ob „traditionell“ oder „modern“ – am Ende ist es doch so: Du schreibst deine Lieder, du erzählst damit von deinem Leben, und die Leute nehmen es eben so, wie sie es für richtig halten.

Das Konzept des Künstlers ist schon eher westlich.

Die Idee, ein Künstler zu sein, unterscheidet sich natürlich ein bisschen von der traditionellen Rolle. Aber nur im Rahmen einer Industrie, die von Images lebt. Kulturell gesehen ist es dasselbe: Ein Künstler ist immer ein Künstler. Eine Karriere als Solosängerin, das gab es früher, ohne Musikindustrie, natürlich nicht. Aber es gab Opernschulen und Musikensembles, sie spielten beim Picknick für den Adel. Jeder würde dem zustimmen. Musik gehört zum Alltag in Tibet.

Kennt man Sie in Tibet?

Man kennt meinen Namen. Ich habe auch noch Angehörige in Tibet. Aber meine Verwandten dürfen nicht zugeben, mit mir verwandt zu sein. Sie dürfen nicht zeigen, dass sie auf mich stolz sind. Das ist traurig, aber es ist sicherer für sie.

Das Prinzip der Gewaltlosigkeit steht für Sie außer Frage?

Jeder ist nur ein Mensch, und wenn einmal auf dich geschossen worden ist, ist der Gedanke an Gewaltlosigkeit sicher nicht die erste Reaktion. Aber die Tibeter haben Glück, dass sie den Dalai Lama haben. Er erinnert sie daran, dass der gewaltlose Weg der richtige Weg ist. Man muss dafür kein Buddhist sein, es genügt gesunder Menschenverstand. Vor ein paar Wochen bin ich in Sarajevo gewesen, an der Universität und in einem Kulturzentrum. Ich habe dort mit vielen Menschen über ihre Erfahrungen während des Krieges gesprochen. Sie sind zur gleichen Erkenntnis gekommen – dass Gewalt nur neue Gewalt gebiert.

Welchen Eindruck haben Sie von der tibetischen Gemeinschaft im Exil, im indischen Dharamsala?

Das ist schwierig zu sagen. Als Kind bin ich mit meiner Mutter und meiner Großmutter aufgewachsen, sie waren für mich wie ein Fenster in die alte Gesellschaft Tibets. In Indien haben die Tibeter versucht, ein Abbild des alten Tibets zu erschaffen, aber es hat sich dort natürlich mit der indischen und der westlichen Kultur vermischt. Indien bietet viele Möglichkeiten, frei zu leben. In Tibet selbst haben die Leute mehr Entschlossenheit, Mut und Glauben daran, ihr Leben als Tibeter zu leben, gerade weil sie keine Möglichkeit dazu haben.

Bedrohen die liberaleren Sitten im Exil die Kultur, oder sind sie eine Chance?

Die Struktur des alten Tibet wird natürlich verschwinden. Die Empfindungen von Menschen in so einer Situation sind schwer zu verstehen. So lange sie sich ihren Widerstandswillen bewahren, bleiben sie stark. Ein Flüchtling zu sein bedeutet andererseits nicht, dass man einfach als freier Mensch in einem neuen Land lebt. 10, 20, 30 Jahre Flüchtling zu sein ist im Gegenteil frustrierend und geisttötend. Manchmal ist es einfacher, wenn man seinen Gegner direkt vor Augen hat – was aber nicht heißen soll, das ich das irgend jemandem empfehlen möchte.

Wie hat das Exil das Los tibetischer Frauen verändert?

Traditionell haben tibetische Frauen in der Familie eine starke Position. Doch die Familienstrukturen lockern sich, was Schwierigkeiten mit sich bringt. Zwar ist es in Dharamsala für Frauen einfacher, zu studieren oder einen Job in der Verwaltung zu bekommen, aber nur für eine Minderheit.

Sind Sie ein Vorbild für andere Frauen?

Als ich jung war, hat mir meine Großmutter ein paar Lieder beigebracht. Sie sagte immer, ich würde eines Tages anderen Menschen mit meiner Stimme helfen. Ich war immer der Meinung, die Leute brauchten etwas zu essen, nicht meine Stimme, aber in gewisser Weise hat sie Recht gehabt. Dass ich es geschafft habe, diese Karriere zu machen, kann andere tibetischen Frauen motivieren, sich nicht mit ihrer Lage abzufinden. Ich möchte ihnen zeigen, dass man es mit dem eigenen Willen schaffen kann. Denn die einzige Möglichkeit, aus dieser Situation auszubrechen, ist ein starker Wille.

Wie bekommt man den?

Meiner Erfahrung nach fehlt es vor allem an Information und Bildung. Deswegen setze ich mich für Bildungsprogramme für tibetische Frauen ein. Ich habe auch die Übersetzung der UN-Menschenrechtsdeklaration in die tibetische Sprache unterstützt und den Druck von medizinischen Informationsblättern. In Indien ist es natürlich einfacher, sie zu verteilen, aber am wichtigsten ist die Verbreitung in Tibet. Es ist auch ein Test: Wie wird die chinesische Regierung reagieren? Schließlich geht es dabei nicht um Politik, sondern um Aufklärung über Frauenrechte, Gewalt in der Familie, über Drogen und Alkohol. Das sind große Probleme in Tibet.

Sie sind viel im Westen unterwegs und treten auf Festivals auch häufig auf Kollegen aus der Pop-Branche. Welche Begegnungen haben Sie am meisten überrascht?

Die sehr entschlossenen, willensstarken und unabhängigen Frauen, die über sich selbst schreiben und in der US-Musikindustrie erfolgreich sind – insbesondere von diesen Frauen war ich sehr beeindruckt. Beim Lilith Fair Festival habe ich etwa Sheryl Crow und Natalie Merchant kennen gelernt, und mit Natalie Merchant habe ich auch an ihrem letzten Album zusammengearbeitet. Das war eine sehr schöne Erfahrung.

Wie erleben Sie den Unterschied von Männern und Frauen im Business?

Nun, es gibt immer solche und solche. Philipp Glass oder Michael Stipe zum Beispiel haben mich auch sehr beeindruckt. Aber Frauen ... um unabhängig zu sein, müssen sie sehr stark und entschlossen zu ihren Zielen stehen. Sie müssen immer ein wenig härter arbeiten.

Wo leben Sie jetzt?

Bis jetzt war ich fast das ganze Jahr auf Tour, aber nun möchte ich in New York mein nächstes Album machen, die unterwegs geschriebenen Stücke ausarbeiten und fertig machen. New York ist ein guter Ort, weil es dort so viele Musiker gibt, mit denen man zusammenarbeiten kann, zumal ich im Laufe der letzten Jahre bei meinen Konzerten alle möglichen Musiker kennen gelernt habe, von denen viele mit mir arbeiten möchten.

Dass Sie so umworben werden, hängt sicher auch mit der westlichen Begeisterung für alles Buddhistische zusammen.

Im Westen nimmt man alles gerne als Mode. Aber um sich auf den Buddhismus einzulassen, muss man wirklich hart arbeiten. Um herauszufinden, ob er einem etwas gibt. Vielleicht hilft er einem, vielleicht auch nicht.

Hilft er Ihnen?

Es ist nicht einfach nur Gebet, Sitzen und Meditation. Es geht darum, etwas über sich selbst zu lernen. Wenn ich meditiere und bete, gibt es mir Ruhe. Man muss sich selbst ruhig machen, wenn die eigenen Gedanken immer in Bewegung sind.

Glauben Sie, dass die Adaption durch den Westen den Buddhismus verändern wird?

Nein, das glaube ich nicht. Der Buddhismus ist in Indien entstanden und fand durch buddhistische Heilige in Tibet Verbreitung. Jetzt gibt es den Dalai Lama, der den Buddhismus in die Welt hinaus trägt. So, wie sich der Buddhismus auf seinem Weg von Indien nach Tibet verändert hat, so wird er sich sicherlich auch auf dem Weg in den Westen verändern – wie ein Baum, der verschiedenfarbige Blätter trägt, aber trotzdem erkennbar nur einen Stamm besitzt.

Keine Gefahr durch abendländischen Lifestyle?

Nein. Aber ich bin sicher, das man im Westen bald einen automatischen Buddhismus, einen Buddhismus auf Knopfdruck erfinden wird (lacht).

Interview: Daniel Bax