Pampuchs Tagebuch
: Ein tiefer Eingriff in das System: Die Piraten von AOL 5.0

Höchste Aufregung im Netz. Die Kohlschen Popel-Millionen rücken in den Hintergrund, jetzt geht es um Milliarden! Und nicht um Liechtensteiner Saumägenfonds, sondern um „freies Surfen für freie Bürger“, genauer gesagt um den „Zugangssoftwareschrott von Asozial Online“ (so ein Betroffener). Mit dem nämlich, so ist zu erfahren, greife AOL mit der neuen 5.0-Software „tief in das Computersystem ein und behindere andere auf dem Rechner installierte Internetdienste“. Mit einer der in den USA so beliebten Sammelklagen will nun ein gewisser Farhad Khazai aus Maryland von AOL für jeden Anwender 1.000 US-Dollar Schadenersatz oder den Ausgleich der tatsächlichen Schäden, je nachdem, welcher Betrag höher ist, herausholen. Da 8 Millionen AOL-Kunden die neue Software installiert hätten, müsse AOL mindestens 8 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz leisten.

Donnerwetter! Wir treudoofen AOLer, seit Jahr und Tag ohnehin von jedem Profi verlacht, nun plötzlich im Mittelpunkt einer globalen Software-Verschwörung. Verfangen in elektronisch geschmiedeten Ketten. Verführt, geknechtet, versklavt. Aber – ätsch! – mit der Aussicht auf ehrenvolle Rebellion und sogar auf Genugtuung in harten Dollars. Wer's glaubt. Blöderweise gebricht es mir am technischen Know-how, das raffinierte Spiel der 5.0-Piraten zu durchschauen. Wie treue Leser aber wissen, habe ich hier schon letzte Weihnachten freimütig über meine Probleme mit 5.0 und dem Zugang zu anderen Providern berichtet (was mir eigentlich einen ehrenvollen Platz an der Spitze der Sammelkläger einbringen müsste.)

Doch nun dies: Einen ganzen Sonntagnachmittag lang kam ich auf einmal bei AOL nicht mehr rein, schaffte aber – nach langem Herumprobieren – plötzlich den Zugang über DFÜ und Freenet. Dort auf der Startseite wurde ich sofort mit der Nase auf „Die Warnung vor AOL 5.0“ gestoßen, um dann auf eine Surftour zu geraten, die mich über zdf.msnbc und ecircle.de, heise.de und pcwelt.de mitten hinein in die Schlacht um AOL katapultierte. Ich hatte ja keine Ahnung, was sich da in den Internetforen abspielt. Hunderte von aufgeregten Mail-Disputanten, Tragödien, Abstürze, Häme, Ratschläge, Vorwürfe, Aufrufe, es brummt nur so. Ganz schlau wurde ich auch aus den anscheinend kompetenten Beiträgen nicht. Doch es ist offensichtlich, dass einige deutsche AOL-User mit 5.0 hadern, wenn sie andere Internet-Service-Provider nutzen wollen.

Ruft man Aufklärung heischend die AOL-Hotline an (und überwindet die endlose Warteschleife), erklärt einem eine Dame, sie dürfe dazu nichts sagen. Immerhin habe ich aber den Pressesprecher von AOL ans Telefon bekommen. Zu den USA-Geschichten wollte er nichts sagen. In Deutschland sieht er als Drahtzieher eine PR-Agentur am Werk, die sowohl für den eco-Verband, ecircle und datango arbeite und versuche die AOL-Kundschaft aufzuhetzen. Es gebe in Wahrheit keine nennenswerten Probleme, und wenn, dann sei die individuelle Konfiguration der einzelnen Rechner schuld daran. Im Übrigen nehme natürlich jede Zugangssoftware Veränderungen im Rechner vor, „das geht ja gar nicht anders“. Aber: „Momentan schwimmen ganz viele Treibhölzer auf diesem großen Meer von Vorurteilen, und die schwimmen jetzt plötzlich in Richtung AOL, und da werden halt Sachen wild durcheinander gemischt.“

Schön gesagt. Ich fühle mich im Moment genau wie eines jener Treibhölzer im großen Netz-Meer der Verdächtigungen. Aber vielleicht gelingt es AOL ja, uns demnächst mit 6.0 etwas behutsamer zu konfigurieren. Sonst fällt ihnen doch auch immer was Neues ein. Bis dahin sehe ich noch mal von meiner Sammelklage ab.

Thomas Pampuch

thopampuch@aol.com