Jubel über „New Germany“

Während hierzulande über die Details gestritten wird, feiern ausländische Analysten die Unternehmenssteuerreform schon als „Revolution“ ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Die im „Intercontinental“ versammelten 300 Fondsmanager und Vermögensverwalter aus dem In- und Ausland staunten nicht schlecht, als Joachim Fels ihnen die „New Germany Story“ präsentierte. Es gebe gute Chancen auf sieben fette Jahre für Deutschlands Wirtschaft, referierte der Chefvolkswirt von Morgan Stanley Dean Witter, einem global agierenden Investmentbanker, vor zwei Wochen in Berlin. Deutschland stehe vor einer „strukturellen Revolution“.

Hauptgrund für die Euphorie ist die Unternehmenssteuerreform, die das Bundeskabinett gestern verabschiedete (siehe Kasten). Begeistert reagiert die internationale Finanzwelt vor allem auf zwei Aspekte: auf die geplante Senkung der Unternehmenssteuer auf 25 Prozent und die Steuerbefreiung von Gewinnen aus dem Verkauf von Unternehmensbeteiligungen.

Besonders der zweite Punkt hat es in sich. Deutschland wird noch immer dominiert von einem gegenseitigen Beteiligungsgeflecht zwischen Großindustrie, Banken und Versicherung. Dieses wird international beklagt als „Deutschland AG“ oder deutscher Kooperatismus. Es verhindert, so die fast einhellige Einschätzung von Analysten, die Umstrukturierung und Entflechtung der deutschen Unternehmen und die Bildung kleiner beweglicher Firmen, die sich auf wenige zukunftsfähige Kerngeschäfte konzentrieren können.

„In der Umstrukturierung hängen wir fast allen Industrieländern hinterher“, urteilt etwa Stefan Bergheim vom Investmenthaus Merrill Lynch. Auch er sieht zur Zeit „eine Revolution“ in der deutschen Wirtschaft, wenn er den Begriff auch, anders als Morgan Stanley, nicht allein auf die Unternehmenssteuerreform münzen will. Die Umwälzungen, eine Entflechtung der Unternehmen und eine „andere Aktienkultur“ seien schon seit „drei bis fünf Jahren“ im Gange, wenn auch die rot-grüne Steueränderung ganz sicher den „Trend verstärken“ werde. In Folge gebe es mehr Wachstum – und auch mehr Arbeitsplätze.

Morgan Stanley spricht dagegen euphorischer von einer noch „nie dagewesenen Restrukturierung“ der deutschen Konzerne. Zusammen mit dem anziehenden Weltwirtschaftswachstum, das den deutschen Export unterstütze, und der Einkommenssteuerreform, die die Inlandsnachfrage anschiebe, könne schon ab kommendem Jahr das hiesige Wachstum auf 3,5 Prozent steigen. Das sei vermutlich mehr als in der Eurozone, prognostiziert Morgan Stanleys Chefvolkswirt Fels. Er empfiehlt, künftig auf deutsche Aktien zu setzen.

Auch in der Financial Times ist nichts mehr von der britischen Deutschlandskepsis zu spüren. In Deutschland starte eine „marktgesteuerte Revolution“, bei der Eichels Steuerreform ein entscheidenden Beitrag leiste, indem es „massive Kapitalströme in neue Geschäftsfelder“ lenke, heißt es in einem Kommentar.

Um die Begeisterung der Investmentbanker zu verstehen, reicht ein Blick auf die Allianz-Versicherung, neben der Deutschen Bank einer der großen Kraken im Beziehungsgeflecht. Ende des vergangenen Jahres hielt die Allianz Beteiligungen an 14 der 29 außer ihr im Dax vertretenen Unternehmen, darunter mehr als 20 Prozent an der Dresdner Bank, 18 Prozent an der Bayrischen Hypo- und Vereinsbank, 15 Prozent an Karstadt, 13 Prozent an MAN und 10 an BASF.

Ein Drittel des Wertes aller Dax-Aktien steckt in gegenseitigen Kapitalbeteiligungen, schätzen die Investmentstrategen von J.P. Morgan. Daher könnte die Steuerfreistellung von Einnahmen aus Unternehmensverkäufen vier Folgen haben: Erstens steigt die Liquidität, wenn die Firmen ihre Aktiendepots verkaufen – Geld für neue Investitionen. Zweitens werden feindliche Übernahmen leichter, weil sich der geschluckte Konzern hinterher einfacher zerschlagen und die nicht passenden Teile billiger verkaufen lassen. Drittens können sich Mischkonzerne wie Linde, MAN, Preussag oder Thyssen-Krupp günstiger auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, indem sie die anderen Unternehmensteile abstoßen. Und viertens können die Banken und Versicherungen sich nicht mehr überall in die Unternehmenspolitik einmischen.

Tatsächlich haben die Banken und Versicherungen inzwischen selbst ein Interesse am Verkauf der Beteiligungen. Schließlich sehen sie sich selbst dem Fusionsdruck durch die ausländische Konkurrenz ausgesetzt. Sie brauchen Geld, um ihre Kriegskassen zu füllen und um gegebenenfalls ihre eigenen Aktien zurückzukaufen, um vor Übernahmen sicher zu sein.

Die Schätzungen der Experten über den Beteiligungsbesitz der deutschen Unternehmen aneinander gehen auseinander: Sie liegen je nach Rechenweise zwischen einer halben und einer ganzen Billion Mark. Wirklich in Frage für einen Verkauf kommt freilich weniger: Merrill Lynch zählt 72 Beteiligungen der Dax-Firmen in Höhe von 250 Milliarden Mark als ernsthafte Kandidaten auf. 20 davon im Werte von 36 Milliarden, so die Experten, wären aber auch ohne Eichels Steuerbonus verkauft worden. Geschätzter Steuerausfall: 6,6 Milliarden Mark.

Merrill Lynch und Morgan Stanley sind zwei der vier ganz großen global tätigen Investmentbanken. Und ihre Euphorie ist ehrlich, verdienen sie doch durch ihre Tätigkeit als Berater von Unternehmen bei Fusionen und Übernahmen selbst nicht schlecht an dem angekündigten Boom. Morgan Stanley hält den europäischen Markt für sein Geschäft inzwischen für „interessanter“ als den US-Markt.

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