Kommentar
: Neue Streitkultur ■ Bekämpft werden muss Haider in Österreich

Noch bevor die schwarz-blaue Regierung Österreichs zu arbeiten begonnen hat, tun sich erstaunliche Dinge. Die vermeintlich unpolitische Jugend demonstriert täglich gegen „Schüssels Bündnis mit dem Rassismus“, und die SPÖ besinnt sich auf ihre linke Vergangenheit. Wolfgang Schüssel wiederum wird noch oft an sein kurioses Vorhaben erinnert werden, gegen „das Klischee, dass es Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt“, anzukämpfen. Eher ist das Gegenteil zu erwarten: Die geplanten Einschnitte in das soziale Netz, die weitere Flexibilisierung – sprich: Verlängerung – der Arbeitszeit und die angekündigte Förderung der Finanzspekulation werden dazu führen, dass sich die Klassengegensätze zuspitzen.

Das ist gut für die verloren gegangene Streitkultur – und für das politische Bewusstsein der Bevölkerung. Der SPÖ wird es zwar schwer fallen, sich von der Macht zu verabschieden. Doch kann sie sich glücklich schätzen, dass die unpopulären Maßnahmen, die sie gemeinsam mit der ÖVP bereits beschlossen hatte, jetzt vom politischen Gegner verantwortet werden. Die Menschenrechte sind vorerst kaum in Gefahr. Denn keine Regierung der Welt steht so unter Beobachtung wie die österreichische. Die Entschädigung für die NS-Zwangsarbeiter – von den Sozialdemokraten bisher verschleppt – soll beweisen, dass Schüssel & Co kein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung haben. Ob es wirklich so schnell geht, ist indes zu bezweifeln, da die Entschädigungen mit Reparationen für ehemalige Kriegsgefangene und Vertriebene verbunden werden. Das schwarz-blaue Wirtschaftsprogramm ist zwar unpopulär – aber völlig kompatibel mit den Vorgaben der Europäischen Union. Und auch die österreichische Zuwanderungssperre liegt höchstens graduell über der Schengener Abschottungspolitik.

Wenn diese Regierung ins Schleudern gerät, dann wegen innerer Widersprüche, die nur notdürftig zugekleistert wurden – nicht wegen rechtsextremer Ausritte. Deswegen werden sich die feindlichen 14 schwer tun, das gegenwärtige Entrüstungsniveau unendlich zu verlängern. Zu erwarten ist dagegen, dass sich die Arbeitsbeziehungen nach einer Anstandsfrist normalisieren. Dann hat Haider das erreicht, was er braucht, um 2003 Kanzler zu werden: Die FPÖ wird als Normalpartei etabliert sein. Ralf Leonhard