Rastlose Identitätssucher

Jan Pusch zeigt sich auf Kampnagel mit seinem neuen Tanzstück „Wish I was real“ formal brillant – und verliert dabei seinen Humor  ■ Von Ralf Poerschke

Es ist schon einigermaßen erstaunlich, wie sich die Körper schneidend durch den Raum bewegen und unsichtbaren Widerständen entgegentreten, die plötzlich hörbar werden: seltsame Sounds, erzeugt scheinbar durch Reibung von Fleisch und Kleidung an der Luft. Die intensive Verschränkung von (Geräusch-)Musik und Tanz ist charakteristisch für die Arbeiten des auch komponierenden Choreografen Jan Pusch. Der Soundtrack zu seinem neuen Stück Wish I was real stammt allerdings von Hans Peter Gerriets. Doch dessen Vorliebe für industrielle Klänge ist hier kein Dogma: Manchmal macht allein das elektronisch verstärkte Klatschen von Händen auf den Leib und von Füßen auf den Boden die Musik; und manchmal herrscht gar atemlose Stille.

Mit zwei Tänzerinnen und drei Tänzern dekliniert Pusch auf dem leergefegte Bühnenboden in der Kampnagel-Halle 2 das desperate Ringen der Körper um selbstbestimmte Wahrhaftigkeit durch. Keiner ist mit sich selbst identisch: Die Glieder wirken mal wie ferngesteuert, mal scheinen sie ein krudes Eigenleben zu führen und verlangen ihren Besitzern höchste Aufmerksamkeit ab, damit diese nicht das Gleichgewicht verlieren. Der Anfang der Choreografie ist von unvermittelten, verstörenden Blacks zerhackt, die variantenreich stark stilisierte Standbilder gefrieren. Hier sind die fünf Tänzerindividuen noch dissoziiert.

Dann nimmt sich Pusch das Paarthema vor und setzt an der in seiner letzten Arbeit Who knows. Maybe Tennessee. demonstrierten Dialektik von Anziehung und Abstoßung an. Doch nicht mehr die geschlechterkämpferisch determinierte Explosivmischung aus Sex und Gewalt treibt die Paarungen um: Während Fiona Gordon und Robin Dingemans ein Exempel der Unbeholfenheit des Umgangs zwischen Mann und Frau statuieren, zeigen Michela Meazza und Nir de Volff die kampfsportlich-elegante Seite der Medaille. Im Zuge des ersten Pas de deux wird auch das erste Mal gesprochen: Gordon beschreibt in allen Einzelheiten ihren „best listener“, eine Art idealtypischen Partner, wobei allerdings physische Details im Vordergrund stehen; ihr Anspruchsdenken wächst sich dabei zu einer dieser klischeehaften, uneinlösbaren Forderungen aus, wenn der Mann „strong, but still soft“ zu sein hat. Und so originell einige ihrer Vorstellungen zunächst scheinen, als so ganz und gar nicht individuell werden sie später entlarvt, wenn Meazza sie Wort für Wort wiederholt.

Auf der dritten Stufe quasi führt Pusch seine Akteure eventmäßig zusammen: Die Bühne wird zum Dancefloor, wo die Tänzer in fliegendem Wechsel Solonummern zum Besten geben. Das Aufgehen in der Gemeinschaft des Clubs bleibt indes ein eitler Selbstbetrug und bietet allenfalls einen Moment der Entspannung für die rastlosen Identitätssucher; das eigene Ich wird lediglich über die cool-inte-ressiert-desinteressierten Blicke der anderen konstruiert. Am Ende sind alle fünf wieder allein – und nach wie vor uneins mit sich.

Wish I was real ist eine formal brillante und exzellent getanzte Choreografie – mit einer bisweilen fast kühl zu nennenden, auf jeden Fall aber bewusst abstrakt-hermetischen Ästhetik. Und das ärgert gewissermaßen. Denn wo ist der Humor, wo das Frisch-Freche, unverstellt auf das Publikum Zielende, das Jan Puschs frühere Arbeiten so sehr auszeichnete? Diese Prädikate sind der beabsichtigten Kargheit in Wish I was real ebenfalls geopfert worden. Und so entschwebt der kaum 60-minütige Abend letztendlich ein bisschen seinem Thema, das doch eigentlich auch recht konkret im Alltag festzumachen gewesen wäre. Hamburgs einziger richtig freier Chororeograf hat zweifelsohne eine höhere Reifestufe erlangt. Aber wie schade wäre es, wenn er dabei das Spielen verlernt hätte.

noch heute bis Sonntag sowie 16. bis 19. Februar, 20 Uhr, k2