Armelle und ich

Eine Hommage der Berlinale ist Jeanne Moreau gewidmet. Heute Abend erhält die noch immer ständig ausgebuchte Schauspielerin im Berlinale-Palast den Goldenen Ehrenbären

Ihre Hommage hätte Jeanne Moreau allein schon für das Ende von Roger Vadims „Gefährliche Liebschaften“ verdient. Wenn die ganze Überheblichkeit eines Lebens zwischen Martinis, verstohlenen Blicken und bösen Plänen zusammengebrochen ist, wenn aus der lasziven Intrigantin im Laufe einer einzigen Einstellung wieder ein kleines Mädchen wird, ein Kind, dem plötzlich klar wird, was es beim Spielen alles angestellt hat. Eigentlich wollte ich sie schon immer mal fragen, ob es ihre Idee war, in dieser letzten Szene die Paraffinflasche vor lauter Panik mit den Zähnen zu öffnen.

Im Büro von Jeanne Moreaus Pariser Produktionsfirma Equinox meldet sich Mitte Dezember ihre freundlich-geschäftige Sekretärin. Ein Interview zur Hommage? Vielleicht, aber Madame sei sehr beschäftigt, ob ich in zwei Tagen noch mal anrufen könne. Zwei Tage später das gleiche und zwei weitere Tage später wieder. Sie heiße übrigens Armelle. Moreau sagt weder zu, noch ab. Dafür erzählt mir Armelle von den anstrengenden Weihnachtseinkäufen in Paris, vom anstrengenden Leben und überhaupt. Alle zwei Tage bestellt sie meinen Anruf, „man weiß ja nie, vielleicht kommt Madame im Büro vorbei und sagt plötzlich zu, dann können Sie Ihr Interview telefonisch führen.“ Ende Dezember wird das Leben für Armelle noch anstrengender: Sie muss ein Visum für sich und Jeanne Moreau besorgen – „ter-ri-ble les americains“ – und Madame beim Packen helfen, „sieben Koffer mindestens“. Es geht nach Los Angeles, wo die Moreau einen Auftritt in „Emergency Room“ haben soll. Natürlich gibt mir Armelle treusorgend die Nummer im Hotel „Peninsula“. „Vielleicht sagt sie zu, in Amerika ist sie entspannter.“

Aber Madame bricht die Dreharbeiten ab, rauscht zurück (Armelle: „Die Amerikaner haben keinen Respekt für eine europäische Schauspielerin“). Und Armelle und ich reden wieder über das Wetter in Paris.

Welchen Film wird sich Madame wohl zur Hommage wünschen? Armelle ist unentschieden, ich tippe auf Peter Brooks „Moderato Cantabile“ nach Marguerite Duras. Weil Moreau mit Duras eng befreundet war, und weil sie als gelangweilte Ehefrau den ganzen Film über gedankenverloren-melancholisch in die Ferne blickt. Mit einer unbestimmten Sehnsucht, die mir immer irgendwie persönlich vorkam.

Lustig ist, dass Armelle meine Anrufe zu sehr präzisen Zeiten bestellt (12.30 Uhr, 17.45 Uhr ...), weshalb ich einmal im ICE eine ganze Telefonkarte durchrattern lasse, um zu erfahren, dass sich Jeanne Moreau gerade auf ein neues Theaterstück vorbereitet und, „ils sont compliqués les artistes“, dass es mit dem Interview nun doch schwierig werden könne. Anfang Februar schlägt Armelle vor, dass ich Jeanne Moreau in Berlin treffe und gibt mir schon mal die Nummer des Hotels, wo man sich ja mal auf einen Kaffee sehen könne – „nach all den Telefonaten.“

Zur Übergabe des goldenen Bären heute Abend hat sich Jeanne Moreau Tony Richardsons „Mademoiselle“ gewünscht, nach Jean Genet. Da plündert sie als sexuell frustrierte Dorfschullehrerin Vogelnester, versengt unschuldige Apfelblüten mit der Zigarette, zündet Häuser an und beschuldigt ihren Liebhaber der Vergewaltigung. Für eine Hommage ziemlich gewagt – findet auch Armelle.

Katja Nicodemus

Hommage an Jeanne Moreau: „Mademoiselle“. Regie: Tony Richardson, mit Jeanne Moreau, Ettore Manni, u. a., F/GB 1965, 100 Min.; heute, 22 Uhr Berlinale-Palast. Filme und Termine www.berlinale.de