Die Starre vor dem Tod

Philippe Harel hat Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ (Panorama) als Deprimierungsmanifest verfilmt ■ Von Volker Weidermann

Niemand schreibt zur Zeit rabiatere Bücher der Ausgrenzung und der Ausgeschlossenheit als der Franzose Michel Houellebecq. Als sein erster Roman „Ausweitung der Kampfzone“ 1994 in Frankreich erschien, war die Aufregung groß: So viel illusionslose Verzweiflung, so viel Kälte, so viel Hass vor allem in der Beschreibung von Frauen, hatte man schon lange nicht mehr gelesen. Wer so schreibt, der mordet auch, haben viele damals gedacht und geschrieben.

Philippe Harel hat Houellebecqs Erstling jetzt verfilmt und Harel selbst spielt die Hauptrolle. Er spielt „unseren Helden“, wie er genannt wird, als einsamen Betrachter und Verachter. Er spielt ihn als Michel Houellebecq himself: Wie sein Vorbild ständig eine Kippe krampfhaft zwischen Ring- und Mittelfinger geklemmt, schleicht unser Held in sich eingekapselt durch eine Welt, die nicht die seine ist, die er verachtet, weil er nicht dazugehört, die ihn bedrängt, weil er ihren Anforderungen nicht genügt.

Unser Held, ein Computerspezialist, der wochentags zu Fortbildungslehrgängen in Frankreich unterwegs ist, verbringt die Wochenenden zu Hause. In einer kleinen Wohnung in einem beigefarbenen Hochhaussilo in einem Vorort von Paris. Er sieht aus dem Fenster. Er liegt so auf dem Bett. Blättert in einer Zeitung. Er denkt ein wenig, ihm fällt ein, dass er seit langem schon sein Auto vermisst und beschließt, es als gestohlen zu melden. Um vor der Welt nicht lächerlich dazustehen. Der Ansagetext auf seinem Anrufbeantworter lautet: „Sie haben sich verwählt. Hinterlassen Sie doch trotzdem eine Nachricht.“ Und er denkt: Ein Mensch, der so wenig erlebt, wird wahrscheinlich niemals sterben. Einmal heißt es: „Am Sonntagmorgen spazierte ich ein wenig im Viertel umher. Ich kaufte ein Rosinenbrötchen. Es war ein milder Tag, aber ein wenig traurig, wie oft die Sonntage in Paris; vor allem, wenn man nicht an Gott glaubt.“

Es wird wenig gehasst in Harels Film. Man wartet eher. Aber nichts geschieht. Und die Erkenntnis, dass auch nichts mehr geschehen wird im Leben, tritt immer klarer hervor. Nur Einsamkeit, nur Kälte. Die moderne kapitalistische Welt ist deprimierend und leer und belanglos. Im Buch hat Houellebecq dafür mit seiner außerordentlichen Sprachkraft eindringliche, kalte und dabei oftmals (im Gegensatz zu dem späteren, gänzlich unkomischen „Elementarteilchen“) selbstironische Ausdrucksformen gefunden. Die Bilder des Films können dagegen nur die nackte Trostlosigkeit abbilden. Oberflächenbilder von Oberflächenmenschen. Kaum Komik, nur beige, graue, dunkle Farben, Regenwetter, Zigarettenqualm, blasse Gesichter, Sperrholzmöbel.

Dazu wird zu einem guten Teil der Text aus dem Buch verlesen. Als innerer Monolog unseres Helden und als Kommentar eines Erzählers. Das verleiht dem Film eine Starre und Unlebendigkeit, die ihm einen Manifestcharakter verleiht, ihn zum Deprimierungsmanifest macht, einer großen, dunklen, ausweglosen Weltverneinung. Die Menschen in Harels Film sind nicht mehr lächerlich. Sie sind alle schon gestorben. Es hat ihnen nur noch keiner gesagt.

Das Buch „Ausweitung der Kampfzone“ war über weite Strecken auch eine Anklageschrift gegen die Welt des total liberalisierten Kapitalismus, gegen die Welt eines völlig entfesselten kapitalistischen und des sexuellen Wettbewerbs und der allgegenwärtigen Verlockungen, die die Verlierer gleichgültig ausspuckt und in Bitterkeit zurücklässt. Der Film konstatiert nur noch die Verzweiflung und bildet sie ab. Kurze Szenen eines individuellen revolutionären Aufbäumens – gescheiterte Mordversuche, spontane Ohrfeigen für raucherfeindliche Kolleginnen – werden den unaufhaltsamen Abstieg unseres Helden nicht mehr verhindern. Dieser Mann ist nicht zu retten, diese Welt ist nicht zu ändern und dieser Film wird uns nicht trösten. Überhaupt nicht.

„Extension du domaine de la lutte“. Regie: Philippe Harel; mit Philippe Harel, José Garcia, Frankreich, 118 Min.; heute, 20 Uhr Cinemaxx 7; 12. 2., 13 Uhr CineStar 3; 13. 2., 22.45 Uhr CineStar 3