Ein Veteran sieht rot

Im osteuropäischen Kino werden die Geister der Vergangenheit beschworen – mal als Farce, mal als bedrohliche Rachefantasie

Bekanntlich wiederholen sich weltgeschichtliche Ereignisse: einmal als Tragödie und einmal als Farce. Das Kino zeigt immer wieder einen ganz besonderen Hang zur Veranschaulichung dieses schönen Marxschen Bonmots und inszeniert große Geschichte als Groteske auf, zum Beispiel, einer kleinen Insel in der Adria. Wie in Vinko Brešans „Maršal“. Dort erscheint als letzter Gast auf einer Beerdigung – der Priester ist gerade abgefahren, soeben wurden die roten Fahnen herausgeholt und wurde die Internationale angestimmt – Marschall Tito. Was die versammelten Veteranen des Partisanenkriegs sehr erschreckt, denn wir schreiben das Jahr 1998. Als Erster will der Kapitalist der Insel, skrupel- und gewissenlos, wie Kapitalisten nun mal sind, aus dem Geist des Marschalls Kapital schlagen und das daniederliegende Tourismusgeschäft wieder beleben, indem er die Insel in eine Art „Titoland“ verwandelt, wo zu günstigen Preisen Sozialismus live erlebt werden darf. Doch dann übernehmen die Veteranen die Macht, und jetzt wird in vollem Ernst noch einmal Sozialismus gespielt. Das alles ist lustig anzusehen und bleibt doch allzu sehr der oben benannten abstrakten Idee der Wiederholung als Farce verhaftet. Über die Befindlichkeit der historischen Subjekte erfahren wir wenig; das mag daran liegen, dass es gleich weniger lustig zugeht, sobald man sich auf sie einlässt.

Dass Differenziertheit auf Kosten der Komik geht, belegt auch Wladimir Chotinenkos Film „Strastnoj Bulwar“. Auch hier macht ein Gespenst die Runde. Ein heruntergekommener Schauspieler klebt sich Backenbärte an und geistert auf diese Weise als Puschkin verkleidet durchs eigene Leben, besucht alte Freunde und ehemalige Geliebte. Diese sentimental journey wird zum Porträt jener verlorenen Generation der über 40-Jährigen, die ihre Träume weder vor noch nach der großen Zeitenwende verwirklichen konnten. Als lyrische Komödie angelegt, bietet Chotinenkos etwas wirrer Film viel weniger Stoff zum Lachen als Brešans Groteske, und doch, wenn man sich darauf einlässt, kann man etwas erfahren über die Perspektive derer draußen am Lagerfeuer, jenseits der Moskauer Peripherie, wo unser Held am Ende landet.

Genau dieses Sich-darauf-Einlassen könnte jedoch beim Woroschilower Schützen von Stanislaw Goworuchin, dem im doppelten Sinne populärsten russischen Film des letzten Jahres, zum Problem werden. Denn hier wird ein Geist beschworen, den man nicht ganz so leicht wieder los wird. Es ist der Geist der Gerechtigkeit in seiner militantesten Verkleidung – der Rache. Der große Veteran des sowjetischen Kinos, Michail Uljanow, spielt den Kriegsveteranen Iwan Fjodorowitsch, der die drei Vergewaltiger seiner Enkeltochter bestraft, weil sie von der Justiz nicht belangt werden. Schnörkellos, kurz und dabei völlig unsachlich erzählt – ganz nebenbei werden hier die gängstigen Vorurteile des heutigen Russland bedient –, ist dieser Film mehr als das sattsam bekannte Ein-Mann-sieht-rot-Drama, er ist ein Loblied auf die „ehrliche“, handgemachte Gewalt, die als Erlösung der strukturellen Gewalt von Bürokratie, Handel und Korruption entgegengesetzt wird. Als Film funktioniert das ausgezeichnet. Gerade deshalb ist dieser Geist der bedrohlichste.

Barbara Schweizerhof „Maršal“. Regie: Vinko Bresan, Kroatien, 97 Min. Heute, 16 Uhr, Cinemaxx 3, 21.30 Uhr, Delphi „Strastnoj Bulwar“. Regie: Wladimir Chotinenko, Russland, 108 Min. 12. 2., 13 Uhr, Cinemaxx 3, 19.30 Uhr, Delphi „Vorošilovskij strelok“. Regie: Stanislaw Goworuchin, Russl., 97 Min. (Panorama). 12. 2., 19.30 Uhr, Cinemaxx 7. Weitere Termine: www. berlinale.de