„Tausende in den Tod geschickt“

Olivier Kamitatu, zweiter Mann an der Spitze der Rebellenbewegung MLC im Kongo, bewertet die Eskalation des Krieges gegen Kabila

Olivier Kamitatu (36) ist Generalsekretär der von Uganda unterstützten Rebellenbewegung MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung), die den Norden des Kongo beherrscht. Er sieht sich als Vertreter einer neuen Politikergeneration im Kongo. Zu Zeiten des 1997 gestürzten Diktators Mobutu leitete er in Kinshasa ein respektiertes unabhängiges Meinungsforschungsinstitut.

taz: Wie beurteilen Sie die militärische Lage im Kongo?

Olivier Kamitatu: Extrem gespannt. Kabila hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er alle unseren befreiten Gebiete zurückerobern will, und tatsächlich haben wir es jetzt mit einer Generaloffensive an drei Fronten zu tun: Am Ubangi-Fluss an den Grenzen zu Kongo-Brazzaville und der Zentralafrikanischen Republik, am Kongo-Fluss und um Basankusu.

Wer führt diese Offensive?

Die kongolesische Regierungsarmee wird von den Interahamwe unterstützt (ruandische Hutu-Milizen, d. Red.). Wir haben von ihnen mehrere gefangen genommen. Diese Völkermordkräfte sind zur Zeit in Mbandaka konzentriert. Es gibt dort auch simbabwische Truppen, aber wenige. Die Regierungstruppen laden schwere Artillerie auf Boote und beschießen von dort aus unsere Stellungen. Unsere Verluste sind relativ gering, weil wir eine gut ausgerüstete Armee sind, die von ehemaligen zairischen Offizieren und ugandischen Militärs gut ausgebildet wurde. Bei Kabilas Truppen ist demgegenüber die Eilrekrutierung tausender Jugendlicher zu beobachten, die man in den Tod schickt, indem sie auf den Booten mit Artillerie sitzen. DieAnzahl von Getöteten und Ertrunkenen unter ihnen ist sehr hoch. Im Dezember und Januar waren es über 1.000.

Religiöse Führer im Kongo wollen die Kriegsparteien zum Dialog zusammenführen. Was werden Sie sagen, wenn Sie eingeladen werden?

Manche denken, dass diese Initiative von Kabilas Regierung ferngesteuert ist. Wir geben ihnen aber erst mal einen Vertrauensvorschuss. Wenn die Initiative einen Verhaltenskodex hervorbrächte, an den sich alle Unterzeichner halten, besonders Kabila, und zu einem konstruktiven Dialog unter der Ägide des internationalen Kongo-Vermittlers Masire führt, wäre es ein Fortschritt.

Würden Sie zu einem Treffen nach Kinshasa gehen?

Wir sind nicht dazu bereit, eine Delegation nach Kinshasa zu schicken. Wir sind doch nicht lebensmüde! Um entspannt miteinander zu reden, müssen wir uns im Ausland treffen. Und vorher müssen in Kinshasa die Bürgerrechte wiederhergestllt werden, so dass politische Aktivitäten beginnen können. Man kann einen Dialog nicht im Untergrund vorbereiten!

Sind Sie optimistisch? Glauben Sie, dass Kabila realistischer werden wird?

Ich glaube, Herr Kabila hat nicht gemerkt, dass er sich mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Lusaka im Juli 1999 bestimmten Bedingungen unterwarf: Dialog mit den Befreiungsbewegungen, gleicher Status für alle Beteiligten an einem Dialog und eine offene Tagesordnung. Heute will er sich davon lösen. Aber er wird sich wie alle anderen beugen und seine Zusagen erfüllen müssen.

Interview: François Misser