■ In Hessen herrscht Vergessen: Der dortige FDP-Landesverband will trotz Mahnungen von Bundespartei, Landesverbänden und Parteibasis am angeschlagenen Roland Koch (CDU) festhalten. Die Bundes-CDU schützt den einstigen Hoffnungsträger nur noch lustlos
: Brutalstmögliche Umklammerung

Will denn so gar niemand Roland Koch beispringen? Steigt keine der CDU-Bundesgrößen ins Flugzeug, um dem Bedrängten in Wiesbaden zu Hilfe zu eilen? Findet sich keiner der Berliner Aufklärer zu einem Solidaritätsauftritt mit dem selbst erklärten Verfechter einer „brutalstmöglichen Aufklärung“ bereit? Kurz gesagt: Will niemand ihn retten?

Offenbar nicht. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel hat volles Vertrauen, dass die Hessen-CDU die anstehenden Fragen löst. Jedenfalls lässt sie das in Berlin erklären. Eine Liebeserklärung ist sowas nicht gerade, ein Treueschwur auch nicht. Nicht einmal zu einer anständigen Zurückweisung der Rücktrittsforderungen an den vormaligen Hoffnungsträger Koch kann man die oberste Krisenmanagerin der Partei an diesem Donnerstag bewegen. Das habe sie doch gestern schon getan, heißt es. Nach einer Wiederholung steht Angela Merkel nicht der Sinn.

Friends in high places sind die Voraussetzung für Erfolg in der Politik. Roland Koch seine Fürsprecher verloren. Dass dieser Umschwung nach seinem Eingeständnis einer Lüge am Dienstag mehr als 24 Stunden brauchte, hat auch mit der Art seines Eingeständnisses zu tun. So ausführlich und umständlich hatte er auf der Pressekonferenz geredet, dass auch seiner eigenen Partei erst allmählich dämmerte, was ihr Spitzenmann da zugegeben hatte: Der Ministerpräsident des Landes Hessen beging nicht nur eine jener lässlichen Sünden, wie sie in der CDU fast schon üblich sind. Er hat nicht Termine verwechselt oder Begegnungen mit Geldboten vergessen. Roland Koch hat aktiv an der Fälschung des Rechenschaftsberichts seiner Partei mitgewirkt und so Schwarzgeld zu einem Darlehen umgelogen.

In den 24 Stunden, in denen der Aufsteiger Koch seine mächtigen Freunde verlor, ist ihm gleichzeitig ein Gegner erwachsen, der ihn noch vor dem Wochenende um sein Amt als Ministerpräsident bringen könnte. Wolfgang Gerhardt ist nicht nur Bundesvorsitzender der FDP, er ist auch Hesse von Naturell und Herkunft. Vielleicht war er deshalb so schnell geneigt, gegen den Landesverband vorzugehen, der immer noch an der Koalition mit Roland Koch festhält. Viel steht auf dem Spiel: Kippt die Koalition, gewinnen Rote und Grüne wahrscheinlich die Neuwahlen. Trotzdem ist Gerhardt von einer Entschlossenheit, den Ministerpräsidenten aus dem Amt zu kegeln, die selbst den Hardliner Koch das Fürchten lehren kann. Im Gegensatz zu den CDU-Oberen ist der FDP-Bundesvorsitzende vor Ort in Wiesbaden. Seine Mitarbeiter umreißen das Ziel der Mission mit drei Worten: „Koch muss weg.“

Nach Plan A bewegt die CDU Roland Koch zum Rücktritt und ersetzt ihn durch eine unbelastete Person. In diesem Fall bleibt die FDP in der Koalition. Ansonsten tritt Plan B in Kraft: Die FDP verlässt die Koalition, es kommt zu Neuwahlen. Gerhardt handelt nicht alleine. Bereits am Vorabend hat er sich die Unterstützung der Präsidiumsmitglieder seiner Partei gesichert. Für Plan A war die Zustimmung einhellig, für Plan B nahezu. Wie militärisch akkurat die Anti-Koch-Operation vorbereitet ist, verrät schon die Sprache der Beteiligten. Die Entscheidung sei nach einer „Kette von bilateralen Gesprächen“ gefallen, sagt ein Teilnehmer als handele es sich um den Kosovokrieg.

Der Vergleich mit einem Krieg passt auch insofern, als die Verluste am Ende beträchtlich sein könnten. Im Landesverband fürchtet man den Abschied von der Macht mehr als alles andere. Aber: „Die Interessenlage im Bund ist eine andere“, heißt es kühl bei der Bundespartei. Einen „Image- und Souveränitätsgewinn“ versprechen sich die Berliner, wenn die Liberalen den Lügner Koch nicht weiter decken. Aus der Partei der Besserverdienenden könnte bundesweit eine Partei der Saubermänner werden. Dabei haben die Strategen im Berliner Thomas-Dehler-Haus nicht nur die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW im Auge. Bisher ist die FDP vom Schmutz der CDU verschont geblieben, hat sogar vom Niedergang des CDU-Ansehens im bürgerlichen Lager profitiert. „Warum sollten wir uns jetzt ausgerechnet an den Dampfer ketten, der am schnellsten sinkt?“, sagt ein Stratege mit Blick auf Koch. „Wir wollen nicht das Beiboot der Titanic sein.“ Wie bei jedem Krieg kommt wohl auch das Gefühl der gekränkten Ehre dazu. Gerhardt und Generalsekretär Guido Westerwelle haben sich vor kurzem öffentlich an die hessische Landesvorsitzende Ruth Wagner gekettet. Solange Koch die Aufklärung der Spendenaffäre vorantreibe, so die Vereinbarung der drei, stehe die FDP zur Koalition. Seit Koch sich als Mogler und Vertuscher entpuppt hat, ist der Koalitionsbruch für Westerwelle und Gerhardt auch eine Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. Dafür wird zur Not auch gegen die Wissenschaftsministerin Ruth Wagner gemobbt. Über den Grund für ihre hartnäckige Loyalität zu Koch lästert ein FDP-Mann: „Sie hat ein großes Dienstzimmer, sie hat einen großen Schreibtisch und sie ist selbst von kleinem Wuchs.“

Patrik Schwarz