Ein Liebeslied
: „Thinkin’ About You“ (1995)

Schon in der ersten Zeile spricht sie aus, was mir das Wesentliche scheint an dem Moment, in dem die Liebe beginnt: „I’m not quite sure what’s goin’ on / But all day through and all night long / I’ve been thinkin’ about you.“ Rund um die Uhr sich auf andere Dinge konzentrieren wollen, aber an nichts denken können als an ihn (oder, meinetwegen, sie). Nicht wissen, warum, keine Ahnung, was los ist, aber es kribbelt und beschäftigt einen mehr als sehr. Das ist, wenn man plötzlich im Stillen eine witzige Bemerkung des anderen erinnert und darüber lacht. Die anderen, ob in der U-Bahn oder an der Bushaltestelle, halten einen für bescheuert. Sollen sie doch; wer ist in solchen Zeiten nicht stark genug, jeden Ruf von Beklopptheit tragen zu wollen?

Trisha Yearwood, die Tochter im Countrygeiste Dolly Partons, wusste ja, wovon sie sang bei ihrem „Thinkin’ About You“: Gerade hatte die Künstlerin selbst einen Mann kennen gelernt: „The look in your eyes / When you smile that way / The sound of your voice sayin’ my name / I’ve been thinkin’ about you / Just keep thinkin’ about you ... Das ist eben das Geschenk der Seele, wenn die Liebe beginnt und der Sex in seinem fleischlichen Sinne schwierig wird: die Augen des anderen zu sehen, sich von der anderen Stimme berühren zu lassen, das Lächeln zu erkennen als Geste, die nur für einen selbst adressiert ist. Und den eigenen Namen hören und sich auch ganz und gar gemeint fühlen.

Und zu spüren, dass Irrtum ausgeschlossen ist: „This single minded fascination I’ve got / Do you call it love / If you don’t then what / All I know is I don’t know that you’ve done / And this train of thought / Ain’t about to jump the track that it’s on.“ Hier klingt schon eine Spur dieser Angst durch, dass die Resonanz beim anderen nicht von der Art ist, die man gerne hätte – als eine Erwiderung des Begehrens. Aber die Melodie, im ruhigsten Groove bester Countrytradition gehalten, ganz so, als wäre sie in Erinnerung an „Thelma & Louise“ komponiert worden, zerstreut das Misstrauen.

Hier singt eine wissend, dass sie ein Gegenüber hat, das sie versteht. Sie beteuert: „In the back of my mind there’s a secret place / But the whole world knows by the smile of my face / I’ve been thinkin’ about you / Can’t stop thinkin’ about you.“ Aber an diesem Anfang soll ja noch keine Routine sein, da muss noch der Schmerz fühlbar sein, dass die Liebe einseitig ausfallen könnte, dass es Kummer gibt für die Schwäche, sich im anderen gespiegelt sehen zu wollen.

Aber sie traut sich: „I know it’s crazy callin’ you this late / When the only thing I wanted to say is / I’ve been thinkin’ about you / Just been thinkin’ about you / I can’t stop thinkin’ about you / Always thinkin’ about you.“ Sie ruft sie (oder, meinetwegen, ihn) an, abends, wenn nur noch Nahestehende dies dürfen. Und sie weiß es: Crazy ist es, verrückt, anmaßend, vielleicht zu unangemessen für diesen Beginn, allzu drängend, ihn oder sie nicht berücksichtigend, ihm oder ihr zu sagen: Ich denke an dich. Und sie sagt es tatsächlich, wie sie am Ende zugibt, auch noch, andauernd, eigentlich immer.

Ob diese Liebe ihren Beginn überdauert, ist ungewiss; aber das interessiert nicht wirklich im Moment der Entrückung. Das ist dann die Zeit der wichtigsten Gebete. Jan Feddersen