Ein Liebeslied
: „Ich hab dich bloß geliebt“ (1979)

Ein Liebeslied ist immer schon da. Du fährst Auto, fühlst dich eigentlich ganz gut, dann schlüpft eine Zeile aus dem Radio und plötzlich hörst du dich schreien im Duett mit Alanis Morissette: „Does she know how you told me / You hold me until you died / Till you died – and you’re still alive.“

He oder she ist ganz egal – Liebesfrust ist universal und jedes Gefühl schon da gewesen. Du kannst dich abschirmen gegen lästige Fragen von Kollegen und Freunden – nicht gegen ein Lied. Am Ende wirst du dich allein mit ihm ins Bett verkriechen oder eben ins Auto. Und nach Kräften singen und heulen.

Englische Texte überrumpeln besonders leicht. Man kann so viel hineindeuten, weil man sie oft falsch aufschnappt. Wenn Peter Gabriel jammert: „Red rain is pouring down / Pouring down all over me“, dann klagt er für mich über heftiges Liebesleid. Eine Freundin von mir denkt eher an gierigen Sex. Manchmal ist der Kummer aber so groß, dass Björk noch so violently happy sein kann, es hilft nichts: Auf Englisch zu leiden, kommt dir plötzlich komisch vor.

Dann taucht Stephan Sulke auf. „Ich hab dich bloß geliebt“ heißt sein Song ganz unschuldig. „Ich hab dich tausendmal gesucht / Wie oft hab ich dich schon verflucht / Ich bin dir hinterher gerannt / Hab dich aus meinem Hirn verbannt / Und immer wieder und immer wieder / Hab ich dich bloß geliebt.“ Wen lässt es schon kalt, wenn er mehrfach von derselben Frau verlassen wurde? Mich nicht.

Sulkes tonlose Stimme hat traurige Verzweiflung schon hinter sich gelassen – dieser Mann hat sich in sein Schicksal ergeben. Nur einmal, nach „Andere Hände streiften meine Beine“, flackert kurz ein zärtliches Lächeln in seiner Stimme auf, „keine waren so wie deine“. Sein Schicksal ist von einer Größe, die meinem (natürlich unendlichen) Kummer damals absolut angemessen war.

„Andere Arme haben mich gehalten / Keine hat mich festgehalten / Anderen Frauen, die zu mir kamen / Gab ich deinen Namen.“ Wer trotz zahlloser Affären nicht von der einen Frau loskommt, ist nicht nur eine Gefahr für seine Umwelt. Er ist ein hoffnungsloser Fall. „Und die Lippen wund von anderen Küssen / Hab ich an dich denken müssen / Mich an fremder Haut gerieben / Bin dir treu geblieben.“

Lange kreiste Sulkes Platte in meinem Kopf wie ich um mich selbst. Wer einmal geglaubt hat, nur ein Verkehrsunfall der Angebeteten könne ihn von seinem Schicksal erlösen, weiß, wovon ich rede. Selbst beim Bergwandern lag dieses Lied auf meinen Lippen. Auf irgendeinem prächtigen Alpengletscher unter blassblauem Himmel ist mir dann aufgefallen, dass ich mit Sulkes melancholischem Extremismus auf Dauer nicht mithalten konnte. So bin ich inzwischen genesen, aber noch heute kriege ich eine Gänsehaut, wenn Sulke am Ende seines Liedes flüstert: „Ich lieb dich immer noch.“

Das klingt nun so, als hätte ich nichts dazugelernt. Das ist auch nicht nötig. Bei der Liebe kommt es nicht darauf an, etwas zu lernen. (Auch wenn Frauenzeitschriften etwas anderes behaupten.) Nur wer bereit ist, alles noch einmal neu, noch einmal falsch zu machen, kann sich wirklich verlieben. Und wirklich verzweifelt einem Lied lauschen.

Matthias Urbach