Letzte Abfahrt: Wirklichkeit
: Japanertag am Potsdamer Platz

Konstanten und Variablen im Kino: Krieg und Musik verkreuzen sich in „Three Kings“. Dazu gibt es Rätselhaftes und Postideologisches in japanischen Kurzfilm-Haikus

Wo anfangen? Beim Krieg natürlich, der Mutter des Gesangsvereins. Krieg und Musik, Disziplin und Glauben, Humor und fremde Völker. Wenn die Utopiestoffe ihr Pulver verschossen haben, kommen die Kriegsfilme, das war schon immer so. Und das, was in all dessen bekanntermaßen grotesker, schwejkesker Absurdität nicht aufgeht, das hebt die Musik auf. War auch schon immer so.

In „Three Kings“ heißt die Konstante Kriegsfilm bzw. -satire, die Variable Postmoderne, Golfkrieg, weltweite Konsumkultur. Dieser Film ist ein Anti-Huntington: Alle wesentlichen Konflikte lassen sich an Hand bekannter popkultureller Konstellationen diskutieren. Man hat zwar Konflikte, aber man versteht sich, zur Not helfen auch Musik oder Abspielgeräte. Universelles Thema: Noise-Unterdrückung. Wenn ein Angehöriger von Saddams republikanischen Garden einen US-Soldaten foltert, dann will er etwas über Michael Jackson herausbekommen. Seine These: Die US wollen die arabische Welt soweit erniedrigen wie die weiße US-Kultur die Afroamerikaner, die nun soweit seien, die Hautfarbe ihrer Unterdrücker annehmen zu wollen. Ice Cube ist zwar einer von ihnen, von den Amerikanern, aber er betet mit den Moslems.

Dabei ist er ja auch im wirklichen Leben ein Black Muslim. Konstante: Musiker müssen im Film das tun, was sie auch im wirklichen Leben tun. Variable: Wenn sie schon nicht ihre Kunst vorführen, dann etwas anderes – zum Beispiel ihren Glauben. Man gewöhnt sich an alles, sogar und so weiter: Potsdamer Platz nochmal. Konstante: Hier gibt es auch Saturn. Variable: alles ist anders. Konstante: Alles sieht aus wie das Einkauszentrum von Elberfeld. Variable: Saturns Jazz-Abteilungen werden neuerdings auch immer schlechter.

Heute aber ist das Wetter wunderbar und die internationalen Filmjournalisten kommen vorwiegend aus portugiesischsprachigen Ländern. Leider zwängen sich immer, wenn man sich an die wirklich irresten Plätze setzt (vierte Reihe ganz links, mit Taxi zum Klo), irgendwelche fettleibigen transpirierenden Cineasten oder Nur-Nerds (also nichtmal Cineasten) zwischen mich und meine lusophonen Freunde (Konstante: Berichterstatter ist was Besseres, Variable: lusophon?!?).

Heute ist ein schöner Tag und es ist Japanertag und vor den Japanern ist einem der Potsdamer Platz natürlich besonders peinlich. Stell dir vor, Osaka wird wiedervereinigt, riesige Brachen wollen bebaut werden und dann kommt Kiel dabei heraus. Bei japanischen Filmen fällt es immer besonders schwer, zwischen Konstante und Variable zu unterscheiden. So will es jedenfalls die exotistische Ideologie. Ist das jetzt typisch japanisch oder ein genialer Regieeinfall? In „Knabenchor“, einem dezidiert unmodernen Film von Akira Ogata, gibt es japanische Schüler, die für Adamo schwärmen und von einer Karriere bei den Wiener Sängerknaben träumen. Daneben existiert aber auch eine japanische Radikale, die sich in die Luft sprengt, um sich dem Zugriff der Sicherheitskräfte zu entziehen. Ein nebliges, waldiges Internat für Waisenknaben: Musik, so der christliche Musiklehrer, ebenfalls ein ehemaliger Linksradikaler, überwindet die Hemmungen des Geistes. Ein Stotterer kann so flüssig singen wie niemals sprechen. Wieder Musik und die exotische Religion: Christentum. Bach, Adamo und vor allem revolutionäre Lieder der roten Armee bilden stabile kulturelle Rückzugsterritorien im Disziplinarmilieu. Man sieht wieder Ice Cube vor sich, wie er auf einem Teppich kniet und nach Mekka betet.

Shinobu Yaguchi und Takuji Suzuki, das Team von „Sakikos geheimer Schatz“, haben rätselhaft lakonische Videoepisoden zusammengestellt. Sind das filmische Haikus, denen auf ebenso lustige Weise die Pointen fehlen oder unerwartet nachgereicht werden, wie bei dieser von Beatniks und John Cage so verehrten Kurzgedichtform?

Amiri Baraka fällt mir ein, einst ein Beatnik-Funktionär, heute immerhin ein immer noch ernster Antiimperialist und letzter Black Panther. Neulich stellte er – übrigens in Österreich – seine neueste Erfindung vor: Lowkus. Haikus ohne Niveau und Rätsel.

Speaking of Revolution: Die japanische Guerilla war von allen die härteste, heißt es immer. Wer da raus wollte, musste Christ werden oder sich in die Luft sprengen. Vor dem schönen Cinestar-Kino verteilt eine japanische Revolutionärin kleine Zettel, auf denen steht: „Post Ideology! A thrilling standoff between a leftwing progressive filmmaker and ultra-nationalist punk-rockers devoted to the emperor! An (...) innovative look at shifting values among young Japanese today!“ Klingt super, könnte allerdings auch der letzte Scheiß sein. Wir werden berichten. Konstante: exotisches Japan, Variable: Postideologie. Halt, das wäre ja auch eine Konstante, wo ist meine Variable?

Wenn alle Fragen nach der Produktion gestellt werden, kommt immer die Frage nach der Politik und der Kritik. Sowohl George Clooney wie Ice Cube haben gelernt, nicht auf Minen zu treten (sie bewahren ja sogar unschuldige Iraki-Kinder davor). Die Herren Yaguchi und Suzuki sind expliziter. Nein Kritik sei es nicht, sagen sie auf englisch, sondern etwas anderes, klingt wie Huushi. Satire bietet die Übersetzerin an, Ironie, tiefere Bedeutung. Nein möglicherweise was anderes, möglicherweise etwas genuin Japanisches bietet der kleine Exotist in meinem Ohr an. Vielleicht sogar die Lösung für alle Berliner Ironieprobleme. Huushi: post-ideologisch und dennoch kritisch.

Diedrich Diederichsen