Menschlich unglaublich belastend

Die Oberdomina der Nation weint sich aus

Gern träumt sie von „den Männern“, die zerknirscht vor ihr auf dem Linoleum lagen und ihr die Schuhe nässten

Die Idylle von Rührseligkeit und Brutalität, die Adorno noch im Landleben nisten sah, hat sich von ihrem spezifischen Ort entfernt. Birgit Breuel hat dieser Idylle ein neues Gesicht verliehen: ihres.

Wie immer, wenn das Gebräu aus Gefühl und Härte eine Reaktion zeigt, dann ist es die klassische deutsche Opfergeschichte. Demnach haben die Deutschen am meisten unter den Ungerechtigkeiten und Folterungen gelitten, die sie anderen zufügten. Auch Birgit Breuel ist mit dieser Tugend ausgestattet, die darin besteht, sich als verfolgte Unschuld zu gerieren. Vom Mitteilungsdrang überwältigt, weint die Oberdomina der Nation über ihre Jahre bei der Treuhand die letzte Seite der Zeit voll: „Aus dieser Zeit habe ich auch sehr quälende Gefühle. Ich musste massiv in das Leben von vielen Menschen eingreifen. Es gab keinen besseren Weg, und trotzdem ist das menschlich unglaublich belastend gewesen, was man da tun musste.“ Ihr Ehrgeiz bestand darin, „mit den Menschen zu reden“, aber nicht, um sie zu trösten, was schon eklig genug gewesen wäre, sondern „weil ich verstehen wollte, was in deren Köpfen vorgeht“. Da aber musste Frau Breuel feststellen, dass diese Leute einfach keine „Visionen“ hatten, dass diese Kleingeister nur eins wissen wollten, nämlich „ob sie ihre Arbeit behalten“ würden. Da gab es doch tatsächlich immer noch Uneinsichtige, die einfach nicht glauben wollen, dass Arbeitsplätze fallen, wo Birgit Breuel hobelt, und dass es die Pflicht des deutschen Arbeiters ist, Verständnis für die eigene Wegrationalisierung aufzubringen.

Hunderttausende Schicksale hat sie als Vollstreckerin des Kapitals beeinflusst, aber weil das eine abstrakte Größe ist, die sich einer konkreten Vorstellung entzieht, bereitet es ihr Genugtuung, sich über die Dramen einzelner Schicksale aus erster Hand berichten zu lassen, denn es ist selbstverständlich ein Unterschied, ob man mit einer Unterschrift einige tausend Arbeiter entlässt oder ob „weinende Männer“ vor einem sitzen. Diesen Kitzel musste sie sich immer wieder verschaffen. „Ich habe sehr oft vor weinenden Männern gesessen“, erzählt sie fasziniert, „das verfolgt mich auch heute noch in meinen Träumen.“ Und die hat sie extra aufgeschrieben, denn wenn Birgit Breuel nachts aufwacht, „dann schreibe ich mir was auf, um es nicht zu vergessen. Wichtiges aus dem Unbewussten.“ Birgit Breuel hat ein Unterbewusstsein? Kann jemand mit der Mentalität einer Dogge so etwas haben? Jedenfalls träumt sie gern und ausgiebig von „den Männern“, die zerknirscht vor ihr auf dem Linoleum lagen und ihr die Schuhe nässten. Das passte gut zu Görings ehemaligen Luftfahrtministerium, in dem Frau Breuel residierte. Und wenn die Jammerlappen dann den Fußboden voll geheult hatten, gab sie ihnen einen Tritt und holte den Wischmopp aus dem Schrank.

Aber Birgit Breuel war nicht immer so, auch sie hatte eine schwere Kindheit, mit der sich ihre sadistische Ader erklären lässt: „Wir haben als Studenten Fackelzüge an der Grenze gemacht. Ich habe das nie begriffen, dass ein Land so geteilt werden konnte. Unvorstellbar. Also, wenn Sie da an der Mauer standen! Dass es eine solche Brutalität geben konnte, ein Volk so einzusperren!“ Ein fideler Knast, in dem man immerhin um die halbe sozialistische Welt reisen konnte. Eigentlich ein Fall für die geschlossene Anstalt, führt Frau Breuel ihre nationale Macke öffentlich spazieren.

Der Idealisierung des armen eingesperrten „Volkes“ folgte später die Ernüchterung. Keine Helden, wie sie zunächst annahm, sondern lauter Heulsusen, die das nationale Ticket nur benutzten, um im Westen abzusahnen. Nicht mit Birgit Breuel, weshalb sie gern den Bluthund machte, als man ihr den Job in der Treuhand antrug. Sie wollte die neue Nation schmieden, solange sie noch heiß war. „Da mitzumachen, das ist auch irgendwo ... ein kleines Stück nationale Pflicht.“ Ihr Traum ist es, „dass es keine Ossis und keine Wessis mehr gibt“, niemand jedoch hat sich mehr um den kleinen Unterschied verdient gemacht.

Klaus Bittermann