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Für eine Milliarde Mark: Kartellamt wird überstimmt

Wirtschaftsministerium lässt ostdeutschen Strom unter Herrschaft der Westkonzerne

Berlin (taz/rtr) – Wirtschaftsminister Werner Müller will die Veag in den Händen der westdeutschen Stromkonzerne lassen, wenn sie weiterhin die Verluste des Unternehmens ausgleichen.

Hintergrund des Milliarden-Kuhhandels sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des dominierenden ostdeutschen Stromversorgers: Die Veag hat zwar ein weit reichendes Monopol für die Elektrizitätsversorgung in der Ex-DDR. Jedoch hat sie seit der Wende laut eigenen Angaben 17 Milliarden Mark investiert, vor allem in große Braunkohlekraftwerke wie die 3.000-Megawatt-Anlage in Jänschwalde. In der Bilanz tauchen deshalb hohe Summen für Abschreibungen auf. Die Einnahmen entwickeln sich schlechter als geplant, weil die Veag im Rahmen der Strommarkt-Liberalisierung ihre hohen Preise teilweise senken musste.

Die Banken als große Kreditgeber wurden in den letzten Monaten zunehmend nervös, weil die Verluste in den nächsten vier oder fünf Jahren auf mindestens sechs Milliarden Mark geschätzt werden. Als akute Hilfe hatten die Gesellschafter der Veag – ausnahmslos Stromkonzerne – am Mittwoch eine Milliarde Mark zugesichert.

Wirtschaftsminister Werner Müller hatte bei den Verhandlungen zum Verlustausgleich anscheinend mit Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet: Wenn die westdeutschen Stromkonzerne die Verluste nicht tragen würden, wollte er die Veag wieder in Staatsobhut nehmen und dann meistbietend verkaufen. Damit wäre die Chance groß gewesen, die Veag für eine stolze Summe an einen ausländischen Bieter loszuschlagen – denn dass die Veag auf lange Sicht profitabel ist, bezweifelt kaum jemand. Wenn erst einmal die Kraftwerke abgeschrieben sind, kann sie auf billige große Braunkohlekraftwerke und eine Unterstützung durch die ostdeutschen Ministerpräsidenten zurückgreifen. Schließlich steht die Sicherung der Tagebau-Arbeitsplätze ganz oben auf der politischen Agenda in Brandenburg oder Sachsen.

Das wissen auch RWE, Veba & Co. Außerdem fürchten sie die Konkurrenz aus dem Ausland. Sie hatten sich nach der Wende in einer umstrittenen Aktion von der Treuhand die ostdeutschen Märkte gesichert und hätten diesen Vorteil nun wegen ein paar Milliarden Mark aufgeben müssen.

Durch ihre Bereitschaft, die Verluste erst einmal auszugleichen, erhielten die Stromkonzerne das Zugeständnis des Wirtschaftsministers und der betroffenen Bundesländer, im Notfall ein Kartellamt-Veto zu überstimmen.

rem

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