Bierlauniger Scherf

Betr.: „Durchgeknallter Potentat Scherf“, taz vom 9.2.2000

Henning Scherf hat hinter verschlossenen Türen, aber vor dem erlaucht-vertrauten Kreis der Eiswette-Genossen mit den Leuten aus Wedderwarden „Klartext“ geredet. Klartext aber auch für alle anderen:

1. Die Zukunft von Stadt und Land Bremen wird mit der vorrangigen Idee des Wachstums auf jeden Preis und der wirtschaftlichen Machtstellung gesichert. Im Wettbewerb mit diesen Interessen bleiben Naturschutz und andere nicht nur der materiellen Wertschöpfung dienende Interessen auf der Strecke. Frösche, Naturschützer, FFH-Richtlinien – das alles gehört den Hechten zum Fraß vorgeworfen!

2. Das Überleben des kleinsten Bundeslandes soll durch konkurrierendes Handeln gegenüber größeren Nachbarn (Hamburg, Niedersachsen, Amsterdam) gesichert werden. Dieses Unterfangen ist für die positive Stadtentwicklung ebenso untauglich wie die bisherigen Bemühungen, die Stellung Bremens durch die Imitation von Kommerz- und Eventprojekten anderer Cities herauszustreichen.

Für die Bewahrung der Eigenständigkeit des Landes Bremen sind vielmehr unverwechselbare, politisch-gesellschaftliche Merkmale von Bedeutung, die sich auf die Geschichte Bremens und das Selbstverständnis seiner Bürgerinnen und Bürger stützen. Bei Henning Scherf verkürzt sich das Selbstbewußtsein Bremer Kaufleute auf das Negativimage von machtbewußten Managern, die den Hamburgern das Containergeschäft wegnehmen. Das hanseatische „Handel und Wandel“ verkommt immer mehr zum Diktat von Leuten, die die wirtschaftliche Macht haben.

3. Schließlich bewegt sich die Rede Henning Scherfs nach Geist und Wortwahl auf einer Gemütsebene, der man wohl nur als bierlauniger Festteilnehmer stehend applaudieren kann. Bei der Lektüre jedenfalls kommt Empörung hoch über soviel Anbiederung und peinlicher Umarmung auf der einen und Arroganz und Herabsetzung auf der anderen Seite. Da muß die Frage erlaubt sein, inwieweit der Bremer Bürgermeister noch identifizierbar ist mit den Werten, für die er einmal als Henning Scherf in dieser Stadt eingetreten ist. Der Glaubwürdigkeit von Politikern, die in diesen Tagen vielfältig in Mitleidenschaft gezogen wird, hat er jedenfalls keinen Dienst getan.

Es wird Zeit, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die sich mit Bremen und Bremerhaven als angestammter Heimat und/oder qualifiziertem Lebensraum identifizieren, zusammenfinden zum politischen Gegensteuern; die Kulturbewegung „Anstoss“ und das „Bremer Forum für Wohn- und Lebensqualität“ haben den Anfang gemacht!

Heiner Cordes,

SPD-Mitglied seit 1979