Bauchansatz unter irgendwie grauem Hemd

■ Noch ein perfektes Konzert im Schlachthof: Die Pop-Fehler-Kings Knarf Rellöm Ism

Rob, der Protagonist in Nick Hornbys Bestseller „High Fidelity“, hat eine interessante Angewohnheit. Jedesmal, wenn ihm eine Frau weggelaufen ist, ordnet er seine Plattensammlung neu. Immer nach einem anderen System. Das ist spleenig, Fetisch at it's best. Aber das ist auch irgendwie schön. Würde ich das auch so machen, wären die Plätze eins und zwei immer unangefochten von jenem Trio belegt, das am Samstag im Lagerhaus gastierte: 1. „Fehler is king“. 2. „bitte vor R.E.M. einordnen“.

Die Formation heißt Knarf Rellöm Ism – eine Band, die die permanente Selbstreferenz zum Programm erhoben hat. Im Konzert wie auf den beiden Platten ist Knarf Rellöm Ism Popmusik und Gespräch über Popmusik zugleich. Auf vielen Ebenen kann man das hören und beschreiben. Dauernd pendeln die Gedanken, die im zum Beat wippenden Kopf anfallen, hin und her. Zwischen Spass und der Frage, warum es eigentlich keine begeisterte Fanzine-Schreibe mehr gibt (einerseits) und – Hey, wir sind im bürgerlichen Feuilleton!– dem Erkennen der Referenz auf heideggersche Existentialontologie in Zeilen wie: „Wir sind geworfen in diese Welt / Wie ein Paket ohne Geld / Irgendwann beißen wir ins Gras / Ich hoffe, vorher passiert noch was“ (andererseits). Soviel Philosophie im Popdiskurs schon beim zweiten Song. Der auch als Diskurs über Philosophie in Pop lesbar ist. Oder als mitreißend tolles Lied. Es ist „Ohne Titel“ betitelt und stammt aus dem Repertoire von Knarf Rellöms Vorgängerband „Huah!“.

Der Sänger ist gut aufgelegt an diesem Abend. Wie seine Mitstreiter streng Retro gekleidet: Hellbraune Cordjacke, darunter ein irgendwie graues Hemd mit großen Knöpfen, darunter ein beachtlicher Bauchansatz. Was auf der Bühne geschieht (die Musik, die Worte) ist brüchig bis zum Gehtnichtmehr. Aussagen wie „Halbheit rules!“ oder „Fehler is king!“, die das Stück „Soulpunk“ prägen, sind durchaus programmatisch zu verstehen. Außerdem soll jeden Abend was anderes passieren. Für jedes Konzert wird das Material re-arangiert. Beispielsweise werden die Teile eins und zwei von „Autobiographie einer Heizung“ vermischt und um neue Textpassagen erweitert. Und aus dem Hardcore-Stück „Was ist romantisch für Ted Gaier“ (d.i. der Bassist der Goldenen Zitronen) wird kurzerhand „Was ist politisch für Rezzo Schlauch“. Die japanische Sängerin Humi ergänzt zeitweilig das Trio.

Der Ort, wo Fehler nicht Fehler sind, sondern Könige, heißt Improvisation. Da haben Rellöm, Bassist und Elektroniker Voktor Marek und der phantastische Schlagzeuger Heinrich Köbberling einiges zu bieten. Darum dominiert eine Art Post-Punk-Gestus auch die sonst so gern zelebrierte Trash-Attitüde. Der Unterschied besteht darin, dass auch das Publikum Spass hat und nicht allein die Band. Knarf Rellöm positionieren sich so zugleich im Zentrum und an der Peripherie des zersplitterten Popuniversums. Soul, Punk, Groove und auch das alte Singer/Songwritertum werden aneinander gespiegelt.

Ironisch spielen Knarf Rellöm Ism mit Subversion, Szeneanbindung und anderen Konzepten. Vor dem Hintergrund treibender Musik, die deutlich krachiger klingt als auf dem Tonträger. Weil ihm, wie er in einem Interview betont hat, der Text zu „Ich weiss nicht, warum ich tu, was ich tu...“ so wehleidig vorkam, singt er jetzt (ganz distanziert) er statt ich. Und legt nochmal nach. „Geht mir nicht auf den Sack mit euren persönlichen Problemen, Künstler“, heißt es in „N.M.V. (Nicht mein Verein)“. Sehr lustig, das alles.

„Weil wir sehr an Traditionellem interessiert sind“, spielen Ism das alte Zugabe-Spiel mit. Schließlich steht Rellöm allein mit seiner Gitarre auf der Bühne und singt „I'm Mr. Blue & I'm here to stay with you & no matter what you do, when you're lonely, I'll be lonely, too“. Ein echter Hit, der zeigt, dass Musik am besten doch als Musik funktioniert. Schön! Tim Schomacker