„Aufregend wie eine Grabung im Sudan“

Eingerüstet wartet das Neue Museum auf seinen Wiederaufbau. Über die Probleme der Restaurierung diskutierten am Wochenende Experten in der Technischen Universität

Fast hat man sie vergessen, die Ruine des Neuen Museums auf der Museumsinsel. Vierzig Jahre lang pfiff der Wind durch die Giebelwände der Kriegsruine, dann wurde sie mit Notfenstern und Dächern gesichert. Seitdem wartet sie eingerüstet auf den lange beschlossenen Wiederaufbau. Dann sollen das Ägyptische Museum, die Antike Griechenlands und Vor- und Frühgeschichte in das Haus zurückkehren, das einmal Ausgangspunkt der Sammlungen war.

Berlin liebt seine Vergangenheit und schreckt vor großspurigen Gesten der Erinnerung nicht zurück. Mit der endlosen Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses schmückt sich die politische Prominenz. Über diesem glänzenden Jonglieren mit Luftblasen, findet Wolfgang Wolters, Kunsthistoriker an der Technischen Universität, würden die konkreten Probleme der Restaurierung viel zu wenig bedacht. Er lud deshalb am Wochenende zu einem Colloquium über den Wiederaufbau des Neuen Museums.

„Aufregend wie eine Grabung im Sudan“ findet Dietrich Wildung, Direktor des Ägyptischen Museums, den Umgang mit der Ruine, der er inzwischen bis zu hundert Sitzungen im Jahr gewidmet hat. 6.000 Seiten umfasst das auf einer Datenbank gespeicherte Raumbuch, in dem Bauteile und Fundstücke inventarisiert wurden. Denn das Neue Museum, von Friedrich August Stüler entworfen und ab 1843 gebaut, glich mit seinen antikisierenden Bauformen und Skulpturen einer begehbaren Enzyklopädie. Zudem hatte sich Stüler neuer Techniken bedient, wie Eisenträgern und Drahtputzdecken, die die Ruine zu einer architekturhistorischen Schatzgrube machen. „So schön wie jetzt“, sagt selbst David Chipperfield, der den Wettbewerb für den Wiederaufbau gewonnen hat, „wird das Neue Museum nie wieder sein.“

Dennoch soll das wieder aufgebaute Haus nicht zum Denkmal seiner selbst werden. Einer „Fetischisierung des Zerfalls“ erteilte Chipperfield ebenso eine Absage wie der Totalrekonstruktion. Wolters, der oft genug beobachtet hat, dass Bekundungen der Behutsamkeit zerstörerische Eingriffe in die Bausubstanz folgten, provozierte mit der These: „Nutzung gefährdet die Substanz.“

Der überarbeitete Masterplan für die Museumsinsel versucht diese Angst abzuwehren, indem mit einem zusätzlichen Eingangsgebäude, einer unterirdischen Erschließung, die erstmals alle Häuser verbindet, und der Auslagerung von Depots und Werkstätten die historischen Gebäude teilweise von der Infrastruktur befreit werden. Das käme den besterhaltenen Sälen des Neuen Museums zugute, deren erhaltene Dekoration noch einmal den Enthusiasmus des Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts und die weltumspannende Geste der Museumsgründer spüren lassen.

Julian Harrap, in Chipperfields Büro für die Restaurierung verantwortlich, stellte das weite Spektrum der Möglichkeiten vor, wie angefressene Gesimse und das Wandbild einer idealisierten Stadtlandschaft als Fragment erhalten und eingebunden werden können. Da ahnte man, wie viele Prüfungen anstehen und wie erst mit Proben vor Ort die Fassungen entschieden werden können. Mit der dreigeschossigen Treppenhalle, dem berühmtesten Raum des Museums, setzte sich Chipperfeld selbst auseinander und stellte die diskutierten Varianten vor, die gemessen am Reichtum der ursprünglichen Inszenierung und der erschütternden Leere der zerbombten Halle immer als Kompromiss erscheinen. Inzwischen ist entschieden, dass die Treppen den alten Verlauf längs der Seitenwände wieder aufnehmen, aber ob aus Beton, Marmor oder Plastik, weiß man noch nicht.

Niemand redete auf dem Colloquium über Geld, auch wenn viele Entscheidungen davon abhängen. Zwei Milliarden für die Rekonstruktion der Museumsinsel aufzubringen, haben Bund und Land zugesagt. Katrin Bettina Müller