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Mit Klebreiskuchen ins Drachenjahr

Inmitten von Plattenbauten begehen Vietnamesen und Deutsche gemeinsam das Neujahrsfest ■ Von Kirsten Küppers

„Viel mehr, als man denkt“, wirbt das Freizeitforum Marzahn auf einer Tafel im Eingangsbereich. Oben im Festsaal werden ebenso vollmundig Hoffnungen geweckt: „Einnahmen – so viel wie die Flut des Schwarzen Flusses bei Hochwasser, Ausgaben – so wenig, wie Kaffeetropfen aus einem Kaffeefilter tröpfeln.“ Das passiert alles im neuen Jahr des Goldenen Drachen, das am 5. Februar begonnen hat, verspricht die Frau mit Mikrofon. Ein schönes Jahr also: Wer jetzt geboren wird, ist ein „Goldkind“. So ein Superjahr kommt im buddhistischen Kalender nur alle sechzig Jahre vor.

Also hat das Bezirksamt zum traditionellen Neujahrsfest eine deutsche Cateringfirma beauftragt, die vietnamesische Folklore-Gruppe „Weiße Wolke“ macht Musik. Zwar feiern Vietnamesen und Deutsche in der Ostberliner Plattenbausiedlung seit neun Jahren das Tet-Fest gemeinsam. Doch die diesjährigen Prophezeiungen versetzen die 300 schicken Gäste in besonders gute Laune.

Can Le Luong zum Beispiel trägt ein breites 20-Millionen-Umsatz-Lächeln herum. Er ist der Manager vom „Vietnam Center“, dem größten vietnamesischen Großhandelszentrum der Stadt. Auf der Bühne freut sich der Marzahner Jugendstadtrat über die „guten Leistungen der vietnamesischen Kinder in Schule und Sport“. Drei kleine Mädchen mit Fühlern auf dem Kopf tanzen zu einer Bontempi-Version von „Bruder Jakob“ einen glücklichen Bienentanz. Überhaupt haben alle Vietnamesen heute Geburtstag, behauptet die Migrantenbeauftragte des Bezirks.

Wie in Marzahn feiern in diesen Wochen viele der gut 7.000 Berliner Vietnamesen ihren Jahreshöhepunkt mit großen und kleinen Tet-Fest-Feiern. Der größten vietnamesischen Community Deutschlands bietet sich ein reiches Festangebot verschiedener Vereine, Bezirksämter und Kirchengemeinden. Doch zehn Jahre nach der Maueröffnung sind die Vietnamesen in Ost und West nicht zusammengewachsen. Auf beiden Seiten herrschen Vorurteile. So gelten die Ostberliner Vietnamesen denen im Westen als zu hektisch und geldgierig. Umgekehrt sagen die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter ihren Landsleuten in den Westbezirken Trägheit und Geschäftsuntüchtigkeit nach. Zu einem gesellschaftlichen Großereignis ist immerhin der in zwei Wochen stattfindende Neujahrsempfang der vietnamesischen Botschaft und der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft avanciert. Auch dieses Jahr werden rund 800 deutsche und vietnamesische Gäste kommen.

Dabei ist dasNeujahrsfest traditionell ein Fest der Familie, berichtet eine vietnamesisches Mädchen im Freizeitforum. Dazu wird ein in Lotusblätter gewickelter Klebreiskuchen aus Reis, Bohnen und Fleisch zubereitet. Auf den Altaren, die viele über ihren Schrankwänden im Wohnzimmer aufhängen, werden Räucherstäbchen für die toten Verwandten angezündet. Sind diese abgebrannt, sind die Götter satt. Dann darf gegessen werden. Die Zimmer sind mit Blumen geschmückt, Kinder bekommen Geldgeschenke, viele Familien besuchen den Pagodentempel im Bezirk Spandau.

Die ersten Tage eines neuen Jahres haben hohe symbolische Bedeutung, erzählt Ina, eine Marzahner Vietnamesin in knöchellangem Samtkleid. Aus Angst vor bösen Überraschungen werden deshalb Arzttermine und Behördengänge vermieden, von der Arbeit nimmt man sich frei. Religiöse Vietnamesen unterlassen es sogar, sich zu besuchen. Dem Glauben nach soll derjenige, der als Erster im neuen Jahr die Wohnung betritt, das ganze Jahr das Schicksal der Familie beeinflussen. „Schwangere und Leute, deren Großeltern im letzten Jahr gestorben sind, sind als Besucher unerwünscht“, weiß Ina. Sie kam vor 15 Jahren als Vertragsarbeiterin nach Ostberlin und besucht regelmäßig das Marzahner Tet-Fest.

Dort tritt gerade eine Tanzgruppe russischer Aussiedlermädchen auf. In Pumphosen interpretieren sie Türkpop. Viele Vietnamesen filmen mit Viedeokameras. Es folgt ein chinesisches Singspiel. Zwei Männer in langen schwarzen Gewändern besingen vier Frauen in langen bunten Gewändern. Es scheint irgenwie um Kuppelei zu gehen. Ein Mann mit Cowboyschuhen, den der Moderator als „aufsteigenden Star“ ankündigt, führt ein schwülstiges südvietnamesisches Lied vor. Im Publikum sitzen deutsch-vietnamesische Pärchen und essen Frühlingsrollen. „Es ist so eine liebe Mentalität“, fasst eine Tigerblusenfrau das Multikulti-Programm zusammen.

Bei „Mambo No. 5“ erntet der DJ Applaus. Auf der Bühne schütteln die Aussiedlermädchen die Haare, Rüschen-Kinder hüpfen, unten tanzen die Erwachsenen. „Vietnamesische Musik wird heute nicht mehr gespielt“, sagt die Migrantenbeauftragte.

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