„Königreich des Geistes“ gelangweilt eingenommen

Unterhaching verliert erstmals daheim: Mit 0:2 gegen den Nachbarn FC Bayern

Unterhaching (taz) – Alles hatte so gut gepasst: Der brave, tapfere Verlierer hatte sich ins Unvermeidbare gefügt („Die waren einfach cleverer“, Oberleitner, Haching), ebenso brav gelobt von allen Beteiligten („Immerhin waren wir es, die die Hachinger Serie durchbrochen haben“, Effenberg, Bayern) und Unbeteiligten („in der Gesamttechnik sehr kompakt“, Stoiber, auch Bayern). Aber dann scherte doch noch einer aus der Phalanx der penetranten Beweihräucherer-Rotte des soeben 2:0 besiegten Konkurrenten. „Wir haben halt nicht mehr gemacht als nötig“, sagte Mehmet Scholl.

Wie bei einem dieser Pokalspiele, wenn ein Bundesligist auf irgendeinem Kuhkaff gegen einen Verbandsligisten antreten muss und mit dem B-Team und angezogener Handbremse 9:1 gewinnt. Von solchen Spielen kennt man diese warmen Worte: „Unglaubliche Spielleidenschaft“ (Stoiber, Edmund), „natürliche Fröhlichkeit der Fans, wie vor 20, 30 Jahren“ (auch von ihm), „kann man nur den Hut vor ziehen“ (immer noch!) – ein Vokabular, das jeder Fußballprofi intus hat wie den Flachpass und die Blutgrätsche.

Zum ersten Münchner Bundesligaderby im Unterhachinger Sportpark passten derartige Floskeln gut wie selten. Der FC Bayern war halt cleverer als die SpVgg Unterhaching, die voll mithielt, leidenschaftlich kämpfte, vor der man nur den Hut etc. Doch vor der Kunst des FC Bayern, mit dem geringst möglichen Aufwand den brutalst möglichen Ertrag zu erwirtschaften, davor geriet das Unterhachinger Unternehmen Heimserie zu Makulatur. 25-mal in Folge hatte die SpVgg zu Hause nicht verloren, Bundesligarekord. Die Bayern aber haben ein Stadium erreicht, in dem sie nichts aus dem Rhythmus bringt: kein verschossener Elfmeter beim Titelkonkurrenten, keine Minuskulisse beim Topspiel der Liga im eigenen Stadion, kein unbefriedigender 0:0-Zwischenstand gegen einen frech aufspielenden Underdog aus der Vorstadt. Der FC Bayern 2000 spielt cool, kontrolliert, auch mal über sieben Stationen vom Linksaußen zurück zum Torwart. Nicht attraktiv, aber eben effektiv.

Mehr als eine Stunde lang warteten die Bayern, ließen den Pfosten und Keeper Kahn die Abwehrarbeit machen. In der 71. Minute endlich der Fehler, der entscheidende. Hachings Abwehr – zuvor in neun Heimspielen nur dreimal bezwungen – hatte Sergio allein gelassen. So etwas langt dem FCB. Scholls Lupfer zum 2:0 in der Schlussminute zählte eigentlich schon als Überstunde.

Dabei hatte man sich so auf ein anderes Ergebnis gefreut. Zugeben wollte das natürlich kaum einer. Haching-Coach Lorenz-Günther Köstner schon gar nicht. Er wolle „nicht so vermessen sein, von einem Sieg über den amtierenden deutschen Meister zu träumen“. Nicht einmal träumen traut er sich! Dabei sitzt der Think-positive-Psychologe doch im Haus: Erich Lejeune, der Gönner und Sponsor des Vereins. Die frohe Botschaft des Unternehmers prangt Weiß auf Rot von der Werbebande: „Du schaffst, was du willst!“

Köstner wollte das Heimspiel partout nicht ins Olympiastadion verlegen – und schaffte es: Statt mehr Zuschauereinnahmen behielt der Verein lieber den Heimvorteil und bekam als Entschädigung vom Chefsponsor eine PR-wirksame Finanzspritze: 500.000 Mark. Das bringt Sympathien. Ein langhaariger Schnauzbart- und Kappiträger zu dem Mann mit der sehr rosafarbenen Krawatte: „Mei, dank schön Herr Lejeune, dass Sie das ermöglicht haben, dass wir hier spielen dürfen!“ Antwort: „Schon gut.“

Ein anderer Wahlspruch Lejeunes lautet: „Im Königreich meines Geistes bestimme ich selbst die Grenzen.“ Was die Erfolgsstory seines Vereins angeht, konnte man sich nach der Lektüre der Süddeutschen Zeitung schon vor der Partie so einiges ausmalen. Eine Woche lang beleuchtete man die David-Goliath-Situation in der Rubrik „Warten aufs Derby“: liebevolle Porträts, zum Beispiel von Liesl Leiminger, der 70-jährigen Waschfrau der SpVgg, Momentaufnahmen aus der örtlichen Metzgerei, fühlige Betrachtungen von alten Fotos aus der Bezirksligazeit – das alles versehen mit der unausgesprochenen Hoffnung auf ein Happy End. Alles hätte so gut gepasst. Thomas Becker