„Versöhnung“ an Hitlers Wiege

Das Haus, in dem Klein Adolf einst das Licht der Welt erblickte, soll nun ein Ort „des Friedens,der Freiheit, der Toleranz und der Demokratie“ werden ■ Aus Braunau Philipp Maußhardt

Ausgerechnet Braunau. Ausgerechnet in Braunau wollen die Österreicher in diesen Tagen „ein Zeichen setzen für die Welt“. Ausgerechnet an Hitlers Geburtsort. Aus dem Haus, in dem der kleine Adolf am 20. April 1889 das Licht der Welt erblickte, soll eine „Versöhnungsstätte“ werden. Ein Ort des „Friedens, der Freiheit, der Toleranz und der Demokratie“. So steht es in einer Erklärung, die alle Parteien im Braunauer Rathaus vergangene Woche unterschrieben haben. Alle Parteien. Auch die FPÖ.

Seit Jörg Haider zum bekanntesten europäischen Politiker wurde und die ganze Welt mit Argusaugen auf die kleinen Alpenrepublik starrt, haben auch jene Österreicher ein Problem, die der „Freiheitlichen Partei“ weder nahe stehen, geschweige denn sie gewählt haben. „Wir wollen mit dieser Aktion deutlich machen, dass in Österreich nicht nur Nazis leben“, sagt Otto Hövl. Der 54-jährige Hövl ist Betriebsrat im Aluminiumwerk, der „Amag“, und damit quasi selbstredend Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Als Chef der SPÖ-Rathausfraktion hat Hövl „spontan diesen Beschluss mitunterschrieben“ – einen Beschluss, der sogar der New York Times einen Anruf in Braunau wert war. Ob man die Nachrichtenagentur da richtig verstanden habe.

Die Idee kam dem Redakteur der Braunauer Rundschau, Reinhold Klika, an einem Freitag. „Die Nachrichten waren voll mit Boykottmaßnahmen und politischen Drohungen gegen Österreich“, da habe er sich gesagt: „Jetzt moch ma a Kampann“ (Jetzt starten wir einen Kampagne). Klika rief den Bürgermeister und alle Fraktionsvorsitzenden an, drei Tage später war der Beschluss gefasst.

Dass die Haider-Partei das Wort von der Versöhnung im Zusammenhang mit dem „Hitler-Haus“ ganz anders gemeint haben könnte, ist eine Unterstellung derjenigen, die den FPÖ-Fraktionschef im Rathaus, Wilfried Hiebl, nicht kennen. Hiebl ist jener von der Sonne gebräunte, freundliche, geradlinige und im Grunde unpolitische FPÖ-Typ der jüngeren Generation, der mit den braun gebliebenen Gründungsvätern dieser Partei wenig am Hut hat. Hiebl hat kein Problem Jörg Haider zu bescheinigen, „leider immer wieder Schmarrn“ zu reden und „daher nicht unschuldig“ zu sein an der verfahrenen Situation.

Hiebl also kann sich gut vorstellen, dass sich im Braunauer Hitler-Haus demnächst Jugendliche aus aller Welt treffen zu einem Seminar über die Wurzeln des Faschismus, oder ehemalige NS-Zwangsarbeiter über ihre Qualen in österreichischen Fabriken berichten. Er hat damit „koa Problem“, so lange es nicht „in eine bestimmte parteipolitische Richtung geht“. Und er empfindet es irgendwie als Genugtuung, dass nun ausgerechnet jene Parteien sich um die österreichische Reputation im Ausland bemühen, die ihn und seinesgleichen von den „Freiheitlichen“ bis vor kurzem noch wie Aussätzige behandelt haben. Die Zeiten sind vorbei. Es gibt kaum noch einen in Braunau, der nicht grüßt, wenn Hiebl über den Stadtplatz läuft.

Nur etwa 100 Meter vom Stadtplatz entfernt steht an der Adresse Salzburger Vorstadt 15 das berühmteste Haus der Stadt. Kein Schild an der Fassade verrät allerdings, dass hier Adolf Hitler geboren wurde. Nur ein großer Granitfelsblock aus dem Konzentrationslager Mauthausen mahnt davor: „Nie wieder Faschismus.“ Den hat der sozialistische Bürgermeister Gerhard Skiba vor zehn Jahren in einer Nacht-und-Nebelaktion hier aufstellen lassen, nachdem immer häufiger Neonazis und Ewiggestrige nach der Adresse gefragt hatten.

Seit die Besitzerin des Hauses ihre Absicht zu erkennen gab, das seit 1938 unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu verkaufen, wächst in Braunau die Angst, ein Nazifan könnte das Haus zum Zwecke einer Kultstätte erwerben. Darum hat die völlig überschuldete Stadt Braunau jetzt die neue Bundesregierung in Wien aufgefordert, das Hitler-Haus für die geplante Versöhnungsstiftung zu kaufen. Die Europäische Union, so der Vorschlag der Braunauer, soll das Projekt unterstützen.

Auf dem Rathaus in Braunau reibt man sich über den Trick vor Freude die Hände. Seit langem will Bürgermeister Skiba mit dem Haus „etwas Vernünftiges anfangen“, aber Geld dazu hatte er nie. „Jetzt muss die Regierung mitmachen, sie kann gar nicht mehr anders“, jubelt er. Haiders Frau in der Regierung, die Vizekanzlerin Silvia Ries-Pascher von der FPÖ, stammt aus Braunau. Sie hat dem Vorschlag schon zugestimmt. „Haider für NS-Gedenkstätte in Hitlers Geburtshaus“ – eine bessere Überschrift kann man sich in der FPÖ derzeit gar nicht ausdenken.

Dabei ist die Idee nicht unbedingt neu: In den Achtzigerjahren gab es Bestrebungen, hier eine Dokumentationsstelle des österreichischen Widerstands einzurichten. Der sozialdemokratische Innenminister kündigte einige Jahre später sogar an, im Hitler-Haus ein Antifaschismus-Museum zu eröffnen. Man wollte ein Zeichen gegen die rechtsradikale Szene setzen, die Braunau noch immer als Wallfahrtsort betrachtet. Seit der Gedenkstein vor dem Haus steht, kommen allerdings deutlich weniger. Die letzten Festnahmen wegen neonazistischer Umtriebe verzeichnet ein Polizeibericht von Braunau im April 1989. An Hitlers 100. Geburtstag wurden neun Personen von der Gendarmerie festgenommen.

Schließlich fand sich 1992 eine Lösung, die ihres Symbolcharakters wegen im Rathaus von Braunau noch bis vor kurzem als die beste galt: Die „Oberösterreichische Lebenshilfe e.V.“ zog mit ihren Werkstätten für geistig behinderte Menschen in das Haus ein und repräsentierte damit einen Teil jener Bevölkerungsgruppe, die unter den Nazis systematisch ermordet wurden.

Heinrich Huemer ist Leiter der Behinderteneinrichtung im Hitler-Haus, und er ist gar nicht glücklich über die jetzigen Pläne. „Wir bräuchten Ersatz. Bis wir ein neues Gebäude gebaut haben, vergehen noch Jahre.“

Das Hitler-Haus ist innen wie außen stark verwildert: Die Farbe blättert, und das einzige, was im Moment museumsreif wäre, sind die sanitären Einrichtungen. 1889 war das stattliche Gebäude, dessen Ursprung bis ins 16. Jahrhundert datiert wird, ein Gasthof („Zum Pommer“), in dem Hitlers Vater, ein Zollbeamter, eine Dienstwohnung belegte. Adolf Hitler verbrachte hier nur die ersten drei Jahre seines Lebens, der Vater wurde zuerst nach Passau dann nach Linz versetzt. Adolf wurde keineswegs, womit er in „Mein Kampf“ kokettierte, in „ärmliche Verhältnisse hinein geboren“. Der Vater verdiente gut und hatte außerdem reich geerbt. In Linz kaufte er sich eine Villa, die 1938 offiziell zum „Elternhaus des Führers“ umbenannt wurde. Sein Geburtshaus war Adolf Hitler selbst nicht einmal einen Zwischenstopp wert, als er nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Reich 1938 im offenen Wagen über die Innbrücke durch Braunau weiter nach Wien fuhr.

Dass die neue Haltung der FPÖ zu diesem Erbe der Stadt (fast wäre man geneigt, sie „unverkrampft“ zu nennen) etwas mit den aktuellen politischen Geschehen zu tun hat, mag man daran erkennen, dass noch vor wenigen Jahren der damalige FPÖ-Chef von Braunau Sätze sagte, wie diesen: „Unsere Stadt hat ihre Ehre niemals verloren“, und der mit allen Mitteln, wenn auch vergeblich, zu verhindern versuchte, dass in Braunau „Zeitgeschichts-Tage“ stattfanden, die die Nazizeit aufarbeiten sollten. Für die FPÖ damals: „Schuldzuweisungen bis hin zur Sippenhaftung.“

Was die FPÖ heute unter einem „Haus der Versöhnung und der Begegnung“ versteht, kann der Braunauer Chef der „Freiheitlichen“, Wilfried Hiebl, „noch nicht genau“ sagen. Vielleicht ist es aber etwas ganz anderes, als das, was Bürgermeister Gerhard Skiba meint: „Das Konzept muss in die Zukunft gerichtet sein. Kein Museum, das als Verherrlichung genutzt werden könnte. Wir werden das als Ideenwettbewerb an Universitäten ausschreiben.“

Als der Sozialist Skiba gemeinsam mit dem FPÖ-Chef von Braunau den Beschluss unterschrieb um „ein Zeichen für die Welt“ zu setzen, war ihm nicht ganz wohl. „Es war ein unangenehmes Gefühl“, sagt er, „plötzlich mit der FPÖ in einem Boot zu sitzen.“