Heftige Geburtstagsschelte für die Grünen

Die hessischen Grünen feierten ihr 20-jähriges Bestehen mit einem Zukunftskongress. Podiumsgäste geißelten zum Auftakt Verlust von Analysefähigkeit und Profil der Partei

Darmstadt (taz) – Zwanzig Jahre Grüne in Hessen, ein runder Geburtstag, ein schönes Fest. Und vom Podium nur Schelte. Kein Wunder. Das Geburtstagskind hatte der Podiumsdikussion zum Auftakt des „Zukunftskongresses“ die Richtung selbst vorgegeben: „Ausgepowert? Angepasst? Angegraut? – Wo stehen die Grünen heute?“ In bester „Presseclub“-Manier schallte es am Freitagabend in Darmstadt unisono aus vier geladenen Kehlen: ziemlich im Regen.

Moderator Hubert Kleinert, einst junger Wilder der Öko-Partei, nahm die Kritik schon in der Moderation vorweg. „Ratlos“ und verunsichert sei die Partei noch im Herbst gewesen. Der Spendenskandal der CDU sei dann „wie ein politisches Erdbeben“ über sie gekommen.

Und schon murrte der Parteienforscher Joachim Raschke: „Die Grünen haben ein großes Thema verschlafen!“ Er machte „Schweigen und Ängstlichkeit“ aus, wo Analyse und Gesellschaftskritik gefordert gewesen wären. Einzig konkreter Ansatz sei bisher der „viel zu spät“ vorgelegte Entwurf zur Novellierung des Parteiengesetzes. Die Zeit-Redakteurin Elisabeth Niejahr diagnostizierte gerade bei den Grünen aus Gründungszeiten „einen Schock“. Nachdem diese sich angepasst, ihren Frieden mit dem System geschlossen hätten, falle es ihnen angesichts der CDU-Skandale schwer, wieder umzudenken. Sie sei außerdem, sagte sie, „sehr enttäuscht“, dass die Grünen im ersten Regierungsjahr so wenig Profil gezeigt und sich vor allem bei sozialen Themen wie der Rentenreform nicht durchgesetzt hätten. Und das trotz „modernerer“ Ideen für den Umbau des Sozialstaates, als sie die „noch immer an klassischer Erwerbsarbeit“ orientierte SPD zu bieten habe.

Bernd Ulrich vom Berliner Tagesspiegel machte eine Paralyse der Grünen durch ihren Koalitionspartner SPD aus. Das Profil der Partei habe „sich immer mehr abgeschliffen“. Nach den Wahlsiegen „kam die große Leere“. Utopien und Streitkultur seien im parteiinternen Hickhack verloren gegangen, aber: „Wo kein Streit ist, da ist kein Geist.“

Grüne Hasenherzigkeit sah auch die taz-Redakteurin Bettina Gaus: „Wenn Sie so weitermachen, wird es Sie in zehn Jahren auf Bundesebene nicht mehr geben.“ Identitätskrise, Orientierungsprobleme, endlose Strukturdebatten, prophezeite Raschke, schreckten auf Dauer auch noch die treuesten Stammwähler ab. Kleinlaut und mit geburtstagskindlichem Kieks in der Stimme fragte Kleinert den Professor um Rat: „Aber was sind die grünen Themen?“ Vor allem vernachlässigte, konterte der: Ökologie, Atomausstieg und Friedenspolitik.

All dies traf den Nerv des zwischen Faszination und Grauen schwankenden Geburtstagspublikums. Viele mittelalte, etliche alte und einige junge Parteimitglieder beklatschten ihre Kritiker bei Sekt und Rotwein im voll besetzten Saal der postmodernen „Centralstation“ in der Darmstädter Innenstadt immer wieder begeistert. Besonderen Applaus erhielten Gaus und Raschke für die Geißelung der Grünen-internen Strukturdebatten. Die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat, so Gaus, sei „überfällig“. Raschke meinte: „Dazu fällt mir nichts mehr ein.“

Zum Abschluss wünschte sich Niejahr von den Grünen „intelligente Antworten gegen die Fehlsteuerungen im Sozialstaat“, Ulrich eine andere Besetzung im Berliner Umweltministerium, am besten „eine naturverbundene Försterin im Internet“, Gaus das Ende von „Strömungspoporz und Postengeschiebe“ und weniger Vernachlässigung der neuen Bundesländer. Raschke sah den Untergang der Partei heraufdämmern: „Ich halte die Grünen im Grunde nicht für beratbar.“ Das aber sei eigentlich eine zu triste Prognose: „Deshalb wünsche ich einen schönen Geburtstag.“ Heide Platen