■ Die hessische FDP-Vorsitzende hat sich durchgesetzt: Bei einer Krisensitzung am Wochenende in Lich hat Ruth Wagner den Verbleib der Liberalen in der Wiesbadener Regierungskoalition gegen den erbitterten Widerstand der Bundesspitze und der Parteibasis verteidigt
: Auf ewig treu der Macht ergeben

Es werde Lich, sprach flehentlich der Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Gerhardt. Der Landesvorstand der hessischen FDP, so seine Kalkulation, werde sich dem Votum des Bundesvorstandes und des Präsidiums der Partei schon nicht verschließen können: Weg mit Koch! Und wenn nicht, dann raus aus der Koalition mit der CDU und her mit Neuwahlen! Gerhardt und sein Vize Rainer Brüderle träumten schon vom neuen Image der FDP: von der nur an der Machtpartizipation interessierten Partei zum demokratischen Korrektiv in der Parteienlandschaft. Am Sonnabend dann wurde es endlich Lich. Aber in den Köpfen der Mitglieder des Landesvorstandes der hessischen FDP blieb alles dunkel.

Augen zu und durch: mit dem zu Staub erodierenden Koalitionspartner CDU. Und auch mit Ministerpräsident Roland Koch, der nach Auffassung nicht nur der Oppositionsparteien im Hessischen Landtag im Zusammenhang mit einem fingierten Darlehen für die hessische Union die Öffentlichkeit „und das Parlament“ (SPD) belogen und betrogen hat. Ein geschlossenes Votum für die Fortsetzung der Koalition und nahezu eine Zweidrittelmehrheit für die Fortsetzung der Koalition mit einem Ministerpräsidenten Roland Koch an der Spitze. Die ebenfalls nach Lich geladenen Kreisvorsitzenden, von denen sich einige im Vorfeld kritisch zur Nibelungentreue der Landespartei geäußert hatten, waren ohne Stimmrecht.

Noch bevor seine Kontrahentin, die Landesvorsitzende und Wissenschaftsministerin Ruth Wagner, triumphierend zur mehrfach verschobenen Pressekonferenz schritt, flüchtete Gerhardt gegen 17 Uhr aus Lich. „Was fragen sie mich, ich bin doch nur der Bundesvorsitzende“, herrschte er entnervt Journalisten an, die den zu seinem unter Polizeischutz stehenden Wagen eilenden Parteichef entdeckt hatten. In Lich hat der glücklose Parteichef Wolfgang Gerhardt ein neues Waterloo erfahren. Dabei hatte der Tag für den Bundesvorsitzenden eigentlich ganz gut angefangen. Einige Kreisvorsitzende der FDP signalisierten Folgsamkeit: Koch habe seinen Hut zu nehmen, hieß es allenthalben. Von einem Nachfolger war schon die Rede. Und Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) war der Favorit der politischen Spekulanten. Draußen vor der Halle hatten sie schon – nicht ohne dabei zu schmunzeln – die ihnen von Sozialdemokraten in die Hand gedrückten Aufkleber angenommen. Koch mit langer Lügennase ist darauf zu sehen. Oder Koch im Rettungsring der „MS Chefaufklärer“.

Nicht lachen konnten die Freien Demokraten dagegen über einen Mann mit Kohl-Maske, der aus einem schwarzen Koffer heraus fleißig Falschgeld verteilte. „Was haben wir damit zu tun“, beschwerte sich einer vom Parteivorstand verärgert. Ein Kritiker aus den Reihen einiger anwesender Bürger, die „Neuwahlen jetzt!“ forderten, goss noch Öl ins Feuer. Noch immer würden auf den Konten der hessischen CDU schließlich 650.000 Mark vermisst: „Hat die vielleicht die hessische FDP für ihre Nibelungentreue zur Union bekommen?“

Die Stimmung war gereizt. Und hinter den verschlossen Türen sollen dann auch „die Fetzen geflogen“ sein, wie später zu hören war. Koch sei als Ministerpräsident „untragbar“ geworden, hatte zuvor auch noch der in Lich geborene Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) gesagt. Solms war stocksauer auf Koch, aber auch auf die hessische CDU im allgemeinen, die seine Parteifreunde in Hessen mit ihren unglaublichen Affären erst in diese verzwickte Lage gebracht habe. „Dankbar“ habe die Union dafür zu sein, „dass wir ihre Krise mittragen“, konstatierte Solms, der nach der Veranstaltung die Entscheidung des Landesvorstandes bedauerte: „Mit dem Ergebnis bin ich nicht einverstanden.“

Ruth Wagner dagegen sehr. In der Koalitionsfrage brachte sie alle Vorstandsmitglieder auf ihre Linie. Vor allem auch deshalb, so Wagner zufrieden, weil „die Bundesebene“ vehement versucht habe, dem hessischen Landesverband die in den Satzungen eindeutig festgelegten Kompetenzen streitig zu machen: „Alle missbilligten die Einmischung des Bundesvorstandes.“ Allerdings versagten immerhin sieben von 15 Vorstandsmitgliedern Ruth Wagner die Gefolgschaft, als es um die Rettung von Koch vor der Zwangsdemission ging. Doch Wagner war auch damit noch zufrieden. Niemand habe es sich schließlich leicht gemacht. Es sei hart gerungen worden. Und die Abstimmung habe dann gezeigt, „dass unsere Argumente doch die meisten überzeugt haben“.

Unsere Argumente? Neben Ruth Wagner steht noch ihr Kabinettskollege Dieter Posch (Wirtschaft und Verkehr), der große Schweiger, fest zur Koalition und zu Koch. So wie auch die Fraktion. Und die Argumente? Ruth Wagner zögert da nicht lange mit der Antwort: Die erfolgreiche bisherige Regierungsarbeit müsse fortgesetzt werden, Koch habe „überzeugende Aufklärungsarbeit“ geleistet, im Bundesrat dürften sich die Mehrheitsverhältnisse nicht ändern – und die FDP müsse ein verlässlicher Partner der Union bleiben. Das sei die Partei den Wählern schuldig, die im Februar 1999 in Hessen „den Wechsel“ wählten. Ruth Wagner – „treuwienhund“ (Günter Grass). Und was ist der Dank?

Koch korrigierte umgehend eine Stellungnahme von Wagner. Nicht erst wenige Stunden vor der Pressekonferenz am Dienstag habe er – wie von Ruth Wagner behauptet – seine Stellvertreterin von der FDP über sein „Fehlverhalten“ am 10. Januar 2000 informiert, sondern schon zwei Tage zuvor. Nur kleine Lügen unter Freunden?

Klaus-Peter Klingelschmitt,
Lich