In Guben erinnert man sich eher widerwillig

Die Stadt, in der Omar Ben Noui starb, möchte als weltoffenes „Tor zu Polen“ gelten

Ein Jahr ist es jetzt her, dass ein Dutzend Rechtsradikale in Guben den Algerier Farid Guendoul zu Tode hetzten. Nachdem es in einer Diskothek Rangeleien gegeben hatte, bei denen ein Deutscher von einem Schwarzafrikaner angeblich leicht verletzt worden war, hetzten Rechtsradikale drei Ausländer durch die Stadt. Farid Guendoul, der unter dem Namen Omar Ben Noui in Deutschland Asyl beantragt hatte, verblutete in einem Treppenhaus des Neubaugebietes. Aus Angst vor seinen Verfolgern war der 28-Jährige durch die Glasscheibe einer verschlossenen Haustüre gesprungen. Dabei verletzte er sich die Schlagader so stark, dass er wenige Minuten später verblutete.

An seinen Tod erinnert heute ein kleiner Gedenkstein, den die örtliche Antifa einige Wochen nach der Hetzjagd aufgestellt hat. So unscheinbar er ist – der Gedenkstein für den verbluteten Algerier ist Hassobjekt für die rechte Szene der Stadt. Mehrmals wurde der Stein schon beschmiert. Bierflaschen wurden auf ihm zerschlagen, Hakenkreuze darauf gesprüht, die Platte verbeult. Bei einer Demonstration, bei der gestern 150 Teilnehmer an den Tod Ben Nouis erinnerten und zum entschlossenen Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit aufriefen, wurde die Gedenktafel durch eine neue ersetzt.

„Das wurde doch nur so hochgetrieben, weil der ein Ausländer war“, sagt Reiko Mühlbach, der Gastwirt, der schräg gegenüber dem Haus, in dem Noui verblutete, Bier ausschenkt. „Für den toten Deutschen in Gubin stellt keiner einen Gedenkstein auf.“ Gubin heißt heute Gubens Altstadt. Seit 1945 liegt sie jenseits der Neiße in Polen. Die Gubener fahren hinüber, um billig zu tanken, Frisör, Autowerkstatt oder einen der „Erotik-Klubs“ zu besuchen. Vor wenigen Wochen wurde hier ein Deutscher zusammengeschlagen und ausgeraubt. Wenig später erlag er seinen schweren Kopfverletzungen. Sein Tod war bester Nährboden für migranten- und polenfeindliche Ressentiments im deutschen Teil der Stadt.

Zielscheibe dieser Ressentiments ist auch Bürgermeister Gottfried Hain. Für sein Engagement beim Zusammenwachsen der geteilten Stadt erhielt er vor einem halben Jahr von Polens Staatspräsident das Ritterkreuz verliehen – die höchste Auszeichnung im Nachbarland. Etwa zur selben Zeit bekam das Stadtoberhaupt eine Unterschriftenliste zu seiner Abwahl präsentiert. Hauptkritikpunkt: Hain solle sich mehr um die deutschen Gubener, weniger um die Polen kümmern. Das Abwahlverfahren scheiterte. So kann Hain weiter versuchen mit dem Expo-Projekt „Euromodellstadt Guben-Gubin“ Investoren zu locken. „Wir verstehen uns als Tor zu Polen“, sagt Stadtsprecherin Susanne Schunack tapfer. Was soll sie auch anderes tun. Seit der Wende sind 6.000 Menschen aus der Stadt weggezogen, etwa 22 Prozent sind arbeitslos.

Immerhin 36 Sozialarbeiter kümmern sich um die Jugend der 25.000-Einwohner-Stadt. Einen eigenen Club für die Rechtsorientierten gibt es nicht. Der Berliner Buchautor Burkhardt Schröder hat die rechte Szene in Guben schon beobachtet, als sich die Stadt noch mit dem Zusatz Wilhelm-Pieck-Stadt schmückte. Bereits in den 80er-Jahren habe es Ausschreitungen gegen die über 500 ausländischen Arbeiter gegeben. Schröder sagt, die rechte Jugendszene habe sich seitdem in Guben „immer wieder selbst erneuert“. In den 90er-Jahren seien Cottbusser und Berliner Neonazi-Führer auf die Stadt aufmerksam geworden und haben die eher diffuse Szene politisiert.

Im Fall Ben Noui stehen seit Juni elf Beschuldigte im Alter von heute 17 bis 20 Jahren unter anderem wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Ein Ende des Prozesses vor der Jugendstrafkammer des Cottbusser Landgerichts ist nicht absehbar. Die Verteidigung muss sich immer wieder den Vorwurf plumper Verschleppungstaktik gefallen lassen. Nick Reimer