Wendepunkt Eierschneider

■ Der Bildhauer Dietrich Wildgrube baut aus Metallschrott und Klaviersaiten wundervolle Klangobjekte. Manchmal beackert er dabei auch Beethoven

Die Welt ist Klang. Nicht nur Beethoven. Obwohl: Beethoven geht. „Manchmal gelingt es mir, „Freude schöner Götterfunken“ zu intonieren“, erzählt Dietrich Wildgrube. Aber meistens versucht er sich an anderen Klängen. Mit dem Geigenbogen fährt er dann an rostigen Stahlträgern entlang, steigt auf Blechplatten und wippt auf ihnen verzückt wie ein Kind. Oder hämmert auf einem Eierschneider herum. Alles im Kammerton A gestimmt.

Der Eierschneider veränderte Dietrich Wildgrubes Leben. Bis zu dieser schicksalhaften Begegnung hatte der seit heute 57-Jährige nur wenig ausgelassen in seinem Leben. Zwanzig Jahre lang schuftete er auf Baustellen im Akkord als Stahlbetonbauer, hielt sich monatelang mal in Brasilien, mal in Afghanistan auf, schrieb Gedichtbände, arbeitete als Bildhauer, versuchte sich als Musiker, studierte schließlich Mitte der achtziger Jahre mehrere Semester lang an der Hagener Fernuni Philosophie und Geschichte. Nicht, dass er sich für sein Studium heute schämt, aber aus seinem Lebenslauf hat er diese Episode inzwischen gestrichen. „Ich bin eben Autodidakt“ sagt Wildgrube im Brustton jener Überzeugung, die keiner Zeugnisse bedarf, die bescheinigen, dass man das, was man macht, einfach gut macht.

Zum Beispiel Eierschneidern Töne entlocken. Irgendwann während eines Frühstücks bemerkte der Student Wildgrube, dass die Saiten dieses Küchenhelfers mehr können als Eier zu zerlegen. Kurze Zeit später fand sich der wildgrubersche Eierschneider zu einem toastergroßen Klangobjekt verarbeitet, über dessen zweckentfremdeten Saiten ein gewichtbewehrtes Pendel strich und glockenhelle Töne hervorbrachte.

Eierschneider interessieren Wildgrube heute allenfalls noch am Rande. Aber die Zweckentfremdung von Gegenständen liegt der Arbeit des Klangobjektebauers nach wie vor zu Grunde.

Seine Materialien findet er auf Schrottplätzen oder in den Abfallhalden von Maschinenfabriken. Manches Teil lässt er sich nach seinen Wünschen in Werkstätten anfertigen. Wie das Zeug aussieht, ist Wildgrube fast egal. Hauptsache, sie klingen gut.

Dafür tut Wildgrube allerdings auch einiges. Stahlplatten, Rohre, kiloschwere Gewichte, Federstahl und Eisenkugeln verknüpft er mit Klaviersaiten zu beeindruckenden Skulpturen, die sich nicht nur optisch und akustisch von „klassischen“ Musikinstrumenten unterscheiden, sondern auch mit Blick auf die Bedienung dem Spielenden neue Techniken abverlangt. Seine „Klangschalen“ etwa – eine gebogene Metallplatte, aus deren Mitte ein Stab hervorragt, der an beiden Seiten mit Klaviersaiten verspannt ist – nötigen zu kräftigem Arm- und Beinansatz. Während man mit dem Geigenbogen auf den Saiten fiedelt, kann man durch Wippbewegungen den Resonanzkörper und damit den Klang verändern. Wildgrubes „Mobil“ – eine drei Meter große Wippe, auf der über eine Saitenbahn ein kiloschweres Gewicht rollt und so den durch Bogenstrich oder Zupftechnik erzeugten Ton verändert, gleicht einer Geschicklichkeitsübung mit garantiert spannendem Ausgang.

Mit acht seiner selbst konstruierten Klangkörper tritt Wildgrube seit einigen Jahren auch auf und konzertiert mit Freunden im Quartett. Meditative Musik, kombiniert mit geistreichem Krach, sind die Folge solcher Happenings. Den Leuten, sagt Wildgrube, gefällt's, zumal die Auftritte regelmäßig mit der Aufforderung ans Publikum enden, selbst Hand anzulegen an den Instrumentenpark. zott

Fotos: NiKolai Wolff

Wer Kontakt zu Dietrich Wildgrube aufnehmen will, erreicht ihn unter 21 1687