Abendfüllender Alltag

Zuschauer beim Zuschauen: „Teatro Amazonas“ (Forum) schielt aufs Publikum

Das Kino ist die Guckkastenbühne par excellence. Trotzdem hat der Film das Theater nicht so sehr verändert, wie etwa durch die Realitätsnähe der Fotografie die Malerei zum Medium wurde, das sich mit dem Vorgang des Malens selbst beschäftigte.

Mit „Teatro Amazonas“ von Sharon Lockhart kommen alle vier Medien wieder zusammen: Der Film der 1964 geborenen Fotografin, die in Kalifornien Kunst studiert hat, wurde auf einer Theaterbühne in Manaus, Brasilien, gedreht. Dabei zeigt Lockhart, was bei allen Irrungen, Wirrungen und Vermischungen von Malerei, Foto, Film und Theater noch immer den gemeinsamen Nenner bildet – es ist das Publikum. Und weil das Publikum immer auf der anderen Seite des Geschehens sitzt, sieht man in „Teatro Amazonas“, wie es 40 Minuten lang die Bühne anstarrt, auf der ein Chor minimalistische Musik von Becky Allen singt und summt. Für diese dichte Atmosphäre des gedehnten Augenblicks, die Allens „Chorals do Amazonas“ beschreibt, hat Lockhart ein probates Mittel der visuellen Darstellung gefunden: Ihr Film besteht aus einer einzigen Einstellung, ohne Schnitt, ohne Kameraschwenks, ohne alles. Das ist sehphilosophisch doch sehr basic gekocht.

Tatsächlich ist der während der Kunst-Biennale in São Paulo produzierte „Teatro Amazonas“ ein Bild über die Produktion von Bildern, das von der Bewegung im Bild lebt. Aber selbst als Tableau Vivant erscheint der Film vor allem als eine paradoxe Situation: Der Zuschauer, auf den die Zuschauer schauen, das sind ja praktisch wir, die wir den Zuschauern beim Zuschauen zuschauen.

Insofern ist „Teatro Amazonas“ ein Film über die Beobachtung zweiter Ordnung. Aber ist das auch abendfüllend? Zumindest wenn man den ersten Argwohn gegenüber Lockharts konstruierter Zeiteinheit überwunden hat. Dann wird auch das Recken und Strecken des Mannes in Reihe neun hinten links im weißen Hemd zu einer Handlung, die den Film vielleicht nicht vorantreibt, aber verändert. Nach einer Viertelstunde jedenfalls hat „Teatro Amazonas“ eine Präsenz, die so wohl ursprünglich von Lockhart zusammengedacht worden war: Alltag statt Exerzitium. Harald Fricke

„Teatro Amazonas“. Regie: Sharon Lockhart. USA, 40 Min., 20. 2., Cinestar 5