Ängstlich tastende Sinne

So lernt man sehen, wie Blinde die Welt erfahren: „Rang-e-khoda – Die Farbe des Paradieses“ von Majid Majidi beim Kinderfilmfest

Bilder genügen, um Welten erfahrbar zu machen. Bilder können beschreiben, was mit Worten nicht beschreibbar ist. Blinde haben keine Bilder. In „Rang-e-khoda – Die Farbe des Paradieses“ wird erfahrbar, wie Blinde erfahren. Das klingt nur absurd für den, der den neuen, für den Auslands-Oscar nominierten Film des iranischen Regiseurs Majid Majidi nicht gesehen hat.

Mohammad ist acht Jahre alt und blind. Sein Lehrer erzählt, Gott bevorteile die Blinden. Man möchte es fast glauben, wenn man die blinden Schüler sieht, wie sie sich vorsichtig durch die Gänge tasten, wie sie nebeneinander auf der Bank sitzen, friedlich mit sich und der Welt. Majidi zeichnet kein bedauernswertes Bild des Blindseins. Eher schon inszeniert er die Faszination des Sehenden am Leben in der Dunkelheit.

Doch dann will der verwitwete Vater Mohammad in den Ferien nicht mit nach Hause nehmen, wo Großmutter und Schwestern schon auf ihn warten. Er sieht seine geplante Wiederheirat gefährdet durch den blinden Sohn. Obwohl Mohammad sich gut einlebt im heimatlichen Dorf, gibt ihn der Vater weit entfernt zu einem ebenfalls blinden Schreiner in die Lehre. Die Familie droht daran zu zerbrechen.

Doch es sind weniger die Ereignisse, die die Geschichte erzählen, als die Bilder: die Großaufnahme sich berührender Hände, der schwer arbeitende Vater, der verloren auf einem Baumstumpf sitzende Mohammad. Den sterbenden Fisch, den die Großmutter zurück ins Wasser gleiten lässt, gefilmt von Majidi in Zeitlupe. Die Bilder atmen. Sie atmen die Schönheit des Landes, sie dokumentieren ein Urvertrauen in die Natur, eine Freude am Dasein, am Leben.

„Die Beziehungen innerhalb der Familie faszinieren mich“, hat Majidi dereinst über seinen letzten, ebenfalls preisgekrönten und für den Oscar nominierten Film „Kinder des Himmels“ gesagt, „die Familie ist für mich eine Art Mikrokosmos für die ganze Gesellschaft.“ Diesmal ist die Familie nur Hintergrundfolie für Majidi, Projektionsfläche für Wünsche, das letzte Refugium für die verlorene Seele. Die Protagonisten in den früheren Filmen Majidis, der selbst mit Eltern und vier Brüdern in einer Einzimmerwohnung aufwuchs, waren meist getrieben von Problemen, die durch die Armut entstanden und die Majidi in neorealistischer Schlichtheit abbildete. Wieder hat er viele Rollen mit Laiendarstellern besetzt. So ist Mohsen Ramezani, der den blinden Jungen spielt, selbst blind. Aber diesmal zeichnet Majidi ein zwar realistisches, aber trotzdem farbiges, fast schon romantisches Bild des Mangels. Die Menschen auf dem Land sind zwar arm, aber haben ihr Auskommen. Die Natur revanchiert sich mit Farben, Gerüchen und Geräuschen.

Ursprünglich sollte der Film „Die Farbe Gottes“ heißen. In der Kindheit ist Gott am nächsten, die Gotteserfahrung am natürlichsten. Die Kindheit ist das Paradies. Im Vater ist keine Kindheit mehr, nur noch Verbitterung. Aber das blinde Kind kann es sehen, das Paradies. Majidi macht für uns erfahrbar, wie Mohammad diese Welt erfährt, ohne zu sehen. Er mischt die Nebengeräusche weg, um den geschärften Hörsinn der Blinden nachvollziehbar zu machen. Aber er macht auch die Angst sichtbar, nach etwas zu tasten, etwas zu erforschen, das man nicht sieht. Dabei nimmt er uns die Scham des Voyeurs, indem er den Blinden ihre Würde lässt. Man könnte heulen, so rührend und traurig ist „Die Farbe des Paradieses“, zugleich aber auch so hoffnungsvoll. Man muss das, was die Hoffnung schenkt, ja nicht notgedrungen Gott nennen.

Thomas Winkler

Rang-e-khoda – Die Farbe des Paradieses“. Regie: Majid Majidi. Mit Mohsen Ramezani, Hossein Mahjub, Salame Feizi; Iran, 88 Min; heute, 10 Uhr FaF, 17. 2., 10 Uhr Zoo-Palast, 19. 2., 14 Uhr FaF