Frisch und fromm im Kulturkampfring

Gert Scobel ist der Retter des deutschen Fernsehens

Zu den Schlechtesten soll er nicht zählen, der Gert Scobel. Disziplin zeichnet ihn aus, den Moderator der werktäglich um 19.20 Uhr auf 3sat versendeten „Kulturzeit“. Seit 1995 bekleidet der Anzugträger das verantwortungsvolle Amt, konzentriert, schlagfertig, kritisch. Deshalb darf er einmal jährlich neben Thomas Hocke während des Klagenfurter Schülerlesewettbewerbs zu Gedenken Ingeborg Bachmanns vor den Kameras herumturnen, die sonst bloß den Mainzer Lerchenberg bedeuten. Das Journal Frankfurt hat ihn deshalb jetzt in seiner Ausgabe 3/2000 per Titel zum „Kultur-Kämpfer“ ernannt.

Da thront ein Buddha auf einem antikisch vier Säulen starken Bücherstapel, klemmt zwei Exemplare zwischen die Bethände und grinst – selbstbewusst, froh, als ein Guter der Branche zu gelten, die überwiegend Kotzbrocken gebiert, „als Hoffnungsträger des deutschen Fernsehens“. Fortschritt oder Regression? Und was ist der Scobel eigentlich für einer? Was muss so einer ventilieren, damit er Coverstar wird? Anbietet sich, dem förderlich freundlichen Magazin „Gert Scobels TV-Führer“ zu diktieren: Man lehne „Nicole“, „Fliege“, „Liebe Sünde“ und Wrestling-Übertragungen ab und erkläre die „Tagesthemen“ und die „Harald Schmidt Show“ („Ein Muss in Sachen Grundversorgung mit Ironie“) zum must. Das fordert Widerspruch heraus und stählt „im täglichen Kampf um etwas, das Pessimisten schon längst abgeschrieben haben: Fernsehkultur und Kultur im Fernsehen“. Zwinge das Unvereinbare zusammen! scheint Scobels Motto zu lauten; anders wäre nicht zu begreifen, weshalb ein Format existiert, das es kaum geben dürfte, besäßen die Litaneien der selbst geadelten TV-Kulturelite um Willemsen, Küppersbusch und, jetzt, Scobel Berechtigung, das digitale und das gutenbergische Medium seien inkompatibel. Anlässlich der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 1999, Sparte „Beste Informationssendung“, an „Kulturzeit“ demonstrierte der ehemalige Jesuitenschüler und Berkeley-Student, was ein klippschulendialektischer Verkäufer von Kultur, die „Spaß machen kann“, zu leisten und keck darzulegen imstande ist: „Wir glauben, dass Kultur im Fernsehen eine Chance hat, solange es Leute gibt, die Sat.1 mit 3sat verwechseln.“ Und Leute, die ihre Eitelkeit mit Bedeutung gleichsetzen. An Mut mangelt es ihm gewiss nicht. Seine „unglaubliche Neugier und die Freude an den Fragen des Lebens“ erlauben ihm, das Zölibat „eine gigantische ideologische Verarsche“ zu nennen, und einer, der via FAZ-Magazin-Artikel zum „Thema: Singles“ und „über Riten des Alltags, nach einem Buchtitel von Roland Barthes“ den Aufstieg Richtung Hessischer Rundfunk und ZDF bewältigte, kann auch mal die Mythen gegen die Riten eintauschen, die er „ohne Berührungsängste“ bemüht.

Deprimierend: Der Hoffnungsschimmer, der in eines Menschen Augen irrlichtert, in dessen Augen „Bildung, Unterhaltung, Politik und Information“ zirka markwortwabrig verbreit und verbreitet werden sollten, verglimmt spätestens dort, wo Scobel den Titel „Leselust“ (WDR) gutheißt und auf den Studiostuhl his special „Liebling“ Harald Schmidt bittet, der sogar Bücher zu lesen vermag und zuvor Scobel bei sich betreute.

Es stinkt. Es ist egal. „Dass Gert Scobel“ während des schwierigen, waghalsigen Geschäfts, „Informationen so zu verarbeiten, dass sich die Menschen darin wiederfinden“, „überaus gelassen bleibt“, erläutert das Journal Frankfurt, „liegt nicht allein daran, dass er“, Zen-Buddhist, „immer noch regelmäßig meditiert“, sondern die meditative Leere des Fernsehens in dessen bigottester Gestalt, der Kulturgüterdistributionsmaschine, zur prestigeeinträglich kalten Herzenssache gemacht hat. „Ich bin nicht so pessimistisch wie eine Menge Kollegen, die das große Kultursterben sehen“, grient er. Nein, wenn das Ziel heißt: dabei sein, bedingungslos.

Glaubwürdigen Insiderberichten zufolge liest Scobel jene quicklebendigen Bücher, die er so liebt und leidenschaftslos leidenschaftlich, rastlos routiniert lobt, gar nicht und gehorcht damit seinem – wahrscheinlich geheimen – Frankfurter Vorbild Reich-Ranicki aufs unausgesprochene Wort, den Kodex und die Praxis eines Redaktionsbetriebs er- und ausfüllend, die den Blender fördern, um ihn die Marginalöffentlichkeit gut bürgerlich blenden zu lassen: als Seriositätssimulant, Wertevermittler und Sinnverwalter, als frisch, fromm, fröhlich und unfrei vom Bücherhaufen weg parlierender und gestikulierender Nationalkulturretter. Jeden Abend. Gute Nacht. Hoffentlich.

Jürgen Roth