Vom Hardliner zum Landesvater

Als Berliner Innensenator provozierte Jörg Schönbohm mit nationalen Tönen. In Brandenburg zeigt sich der CDU-Minister von seiner umgänglichen Seite: Eine große Koalition der Unverbindlichkeiten eint ihn mit Stolpes SPD, gegen deren „Konsenssoße“ er einst zu Felde zog ■ Von Jeannette Goddar

Der 33-köpfige Ortsverband erweist dem Landesvorsitzenden die Ehre. Mehr als 40 Leute sind erschienen. Der ansonsten so schneidige Jörg Schönbohm bedankt sich launig: „25 waren angekündigt, 40 sind hier – es geht aufwärts mit der CDU!“

Auf dem Industriegelände am Ortsausgang der 6.400-Seelen-Gemeinde Rehbrücke bei Potsdam ist die Welt der christdemokratischen Basis in Ordnung. Ein Mitglied wischt die Spendenaffäre mit der Bemerkung beiseite: „Es gibt immer gute und schlechte Zeiten.“ Schönbohm dagegen findet klare Worte: Derartige „Schweinereien“ gehörten aufgeklärt.

So forsch kennt man den ehemaligen Berliner Innensenator. Selten nimmt er ein Blatt vor den Mund. Aber hier in Brandenburg fällt er inzwischen durch Schmeicheleien auf. „In Brandenburg sehe ich beglückende Welten“, sagt er. „Die bedrückenden sind woanders.“

Es ist gerade ein gutes Jahr vergangen, seit der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium seinen Dienst als Berliner Innensenator quittierte und sich daran machte, die völlig zerstrittenen Überreste der Brandenburger CDU zu einen – um mit ihnen gegen Landesvater Stolpe in den Wahlkampf zu ziehen.

Der Import aus der Hauptstadt setzte an, die ersten Dorfanger zu erobern, indem er sich den Problemen der Anwohner aufmerksam zuwandte. Die brandenburgische SPD reagierte empört. Der mache „den Leuten etwas vor“, warf ihm der damalige Bildungsminister Steffen Reiche vor.

Schönbohm setzte einen Trumpf dagegen: seine brandenburgische Herkunft. Die ersten sechs Lebensjahre verbrachte er in Neu Golm bei Bad Saarow. Seine Gattin stammt aus Fürstenwalde. Und schon zu seiner Berliner Amtszeit wohnte er in Kleinmachnow. Anders als in Berlin, wo man sich nicht wirklich sicher war, ob „der Berliner“ ihn wirklich interessiert, ist Schönbohm in Brandenburg zum selbst ernannten Sprachrohr der kleinen Leute geworden: „Der Brandenburger“ fühle sich nicht sicher genug, „der Brandenburger“ störe sich an dem schlampigen Auftritt so mancher Polizisten. So geht es in einem fort. Als ein ZDF-Team die Oderstadt Frankfurt als einen Hort von DDR-Nostalgikern und Faschisten porträtierte, sprach er empört von „manipulativem Journalismus“.

Die Brandenburger CDU-Basis nimmt’s erfreut zur Kenntnis. So hemdsärmelig wünscht man sich hier die Politiker. Einen, der sich ein Feuerzeug ausleiht, um sich den Zigarillo anzuzünden. Einen, der mit anpackt, wenn noch Stühle fehlen. Einen, der früher selber einmal Paletten gestapelt hat. „Dass der von hier kommt, merkt man schon“, sagt der Amtsdirektor von Bergholz-Rehbrücke, Gerhard Ling (CDU). „Das ist einer von uns“.

Selbst der Potsdamer Opposition fällt es angesichts der erstaunlichen Volksverbundenheit Schönbohms schwer, den Innenminister als Hardliner rechts liegen zu lassen. PDS-Fraktionschef Lothar Bisky schäkert inzwischen im Fernsehen ungezwungen mit dem Mann, der einst den Kampf gegen die PDS zur „nationalen Aufgabe“ erklärt hatte. Und zum 100. Tag der großen Koalition kochte Landesvater Manfred Stolpe einträchtig mit Schönbohm auf der Grünen Woche in Berlin.

Hat sich Schönbohm geändert, oder kehrt er nur eine andere Seite seines Wesens heraus?

Schönbohm, das war jemand, der als Innensenator in militärischem Tonfall – „erstens, zweitens, drittens“ – erklärte, wo er in Berlin überall den Eindruck habe, er befinde sich nicht mehr in Deutschland. Mit nächtlichen Massenabschiebungen bosnischer Flüchtlinge zog er bundesweite Aufmerksamkeit auf sich. Die linke Szene in Berlin machte er sich mit der Räumung der letzten besetzten Häuser zum Feind.

In Brandenburg kämen gerade solche Töne und Taten womöglich gut an, aber ausgerechnet hier kehrt Schönbohm eher eine landesväterliche Attitüde heraus.

Im Rückblick auf seine Berliner Zeit bezeichnet sich Schönbohm gerne als Provokateur. Als einen, der Themen anpackte, an denen vermeintlich nicht gerührt werden darf. Dennoch – der Provokateur war stets zu sehr Überzeugungstäter, um nur Provokateur zu sein. Er war immer auch die Inkarnation preußisch-nationalistischer Werte: Schönbohm gab Interviews in der neurechten Postille Junge Freiheit. Er wetterte gegen „Ghettos“, dachte laut über „Zwangssprachtests“ nach, forderte eine „deutsche Leitkultur“ in einer „selbstbewussten Hauptstadt“, Sitz einer „selbstbewussten Nation“. In den Bewerbungsgesprächen für einen Pressesprecher-Posten mussten die Interessenten sich zur multikulturellen Gesellschaft äußern.

Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, nannte Schönbohm einen „Blut-und-Boden-Ideologen“. Auch in Brandenburg machte Schönbohm seinem Ruf zunächst alle Ehre: Noch vor der Wahl ließ er verlauten, ein „Bündnis gegen rechts“, gegen den drohenden Einzug der DVU in den Potsdamer Landtag, müsse ohne ihn stattfinden. Beim „Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt“ wollte er die Vorsilbe „Rechts“ aus dem Namen streichen.

Schönbohm polarisierte, wo er ging und stand. Seine Wahlkampftour durch 228 märkische Käffer und Kleinstädte war eine Tour gegen die „Konsenssoße“, in die Ministerpräsident Stolpe das Land getunkt habe.

Und nun: Lothar Bisky, ausgerechnet er, wundert sich öffentlich, wie schnell der 62-jährige Schönbohm in der Mark zu einer Art „CDU-Stolpe“ geworden sei, der sich mit einer „Koalition der Unverbindlichkeiten“ begnüge.

Von Schönbohms landespolitischen Ambitionen weiß man nach gut 100 Tagen Regierungszeit nicht viel mehr, als dass er das verschuldete Land auf Konsolidierungskurs bringen und die Fusion mit Berlin vorantreiben will.

Als Innenminister ist Schönbohm bislang noch auf Tauchstation. Zwar kündigte er an, angesichts der „jüngsten Entwicklungstrends im Bereich des militanten Rechts- und Linksextremismus“ würden sich die Verfassungsschutzbehörden Berlins und Brandenburgs stärker verzahnen, ansonsten hört man nicht viel von ihm zu solchen Themen. Linke und Antifa-Kreise in Brandenburg beobachten Schönbohm daher mit Skepsis.

Mit klaren Worten zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hat Jörg Schönbohm einen Teil der Ängste zerstreut: „Man muss hier aufklären und sich vor die Ausländer stellen. Da ist viel Dumpfheit.“

Schönbohm hat es allerdings nicht schwer, im Vergleich zu seinem Vorgänger Alwin Ziel gut abzuschneiden. „Was Ziel hier an Law-and-Order-Politik durchgegeben hat, ist kaum noch zu übertreffen“, erklärt ein Innenexperte. 1999 wurden über 1.600 Flüchtlinge aus dem Zweieinhalb-Millionen-Land abgeschoben, in dem nur rund 50.000 Ausländer leben. Schönbohm war dafür erst von Oktober an verantwortlich.