Bildungspolitik in NRW wechselt die Richtung

■ Früher war Nordrhein-Westfalen ein Bollwerk gegen Studiengebühren. Jetzt will die sozialdemokratische Bildungsministerin Gabriele Behler Managementstrukturen einführen. Auch Studiengebühren sind nicht mehr ausgeschlossen. Nicht nur die Studis protestieren

Berlin (taz) – Sascha P. lehnt lässig an seinem Cabrio. Der junge Mann mit Handy und modischer Paisley-Krawatte grient siegesgewiss, denn seine Eltern können die Studiengebühren von 18.000 Euro an der Norbert-Müller-Uni AG bezahlen. „Endlich allein an der Uni“ ist das visionäre Plakat aus dem Jahr 2005 überschrieben. Mit dieser Plakat- und Anzeigenkampagne wenden sich 16 Asten von Münster bis Köln gegen das von der nordrhein-westfälischen Regierung vorgelegte Hochschulgesetz, das noch im Februar verabschiedet werden soll.

Das neue Gesetz der sozialdemokratischen Bildungministerin Gabriele Behler verbannt die einstigen Sozi-Slogans „Bildung für alle!“ und „Mehr Demokratie wagen!“ endgültig in die Mottenkiste. Und das ausgerechnet in NRW. Dort stand bis 1998 die Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) mit ihrem unerschütterlichen „Nein zu Studiengebühren“ als Bollwerk gegen jedes derartige Ansinnen von der schwarz-gelben Bundesregierung. Im Hochschulgesetz von Gabi Behler heißt es dagegen windelweich und damit eindeutig: „Für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und für ein Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierten Abschluss führt, werden Studiengebühren nicht erhoben.“

Wenn das Gesetz in zwei Wochen verabschiedet wird, wäre damit erstmals in einem rot-grün regierten Land die von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn angestrebte Politik, lediglich das Erststudium von Gebühren frei zu halten, per Gesetz festgeschrieben. Einer Gebührenerhebung für Studis, die länger als die Regelzeit an der Uni weilen oder ein Zweitstudium absolvieren wollen, steht dann in NRW nichts mehr im Weg. Auch nicht einer etwaigen Steuerung durch Bildungsgutscheine, die nur für das Erststudium kostenlos ausgegeben werden.

Vorreiterin ist Ministerin Behler auch bei der Entdemokratisierung der Unis. Behler bietet den Professoren als Zuckerstückchen für den radikalen Stellenabbau, den sie im Hochschulpakt verfügt hat, mehr Rechte. „Die vorgesehenen Stukturen an den Hochschulen bedeuten praktisch eine professorale Alleinherrschaft“, empört sich Regine Siepmann vom Asta der Universität Köln. Die innovativen Potentiale aus den Reihen der Studierenden und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen würden damit versiegen.

Doch nicht alle Professoren werden in den Genuss kommen zu entscheiden. Denn Behler will die Macht in die Hände der Rektoren und Dekane legen. Während in der Wirtschaft zunehmend auf demokratische Entscheidungen und flache Hierarchien gesetzt wird, strebt Behler das Gegenteil an: „Profilierung der Leitungsorgane auf Zentral- und Fachbereichsebene“. Dieses Vorhaben kritisieren nicht nur die Studis, auch Jens Peter Meincke, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz stößt sich an dem Modell: Es sei zu hierarchisch und zentralistisch, was insbesondere bei größeren Universitäten Probleme schaffe.

Doch in anderen Bereichen soll die Wirtschaft auch Vorbild der Universitäten sein: Wettbewerb und Konkurrenz, jene aus dem 19. Jahrhundert stammenden Wirtschaftstugenden, sollen das alte Humboldtsche Bildungsideal ablösen. Die Unis sollen wetteifern um die Staatskohle, die nach Höhe der Absolventenzahlen, der Forschungsleistungen und der Einwerbung von Drittmitteln vergeben wird. Im Kampf um das knappe Budget sollen die Hochschulen nach Behlers Willen ein „eigenes, unverwechselbares Profil“ entwickeln.

Duisburgs Uni-Rektor Ingo Wolff ist ein Hochschulleiter so ganz nach den Profilwünschen der Ministerin. Er setzt eigene Akzente in punkto Wirtschaftsnähe. So fungiert etwa der Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer, Hans-Jürgen Reitzig, als Vorsitzender der Duisburger Universitätsgesellschaft. Reitzig erhofft sich von den Unis „deutliche Impulse für die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Duisburg“. Die Universität müsse von der Wirtschaft verstärkt als „Dienstleister auf hohem Niveau“ genutzt werden, echote Rektor Wolff.

Nicht nur die Wirtschaft soll künftig von dem aus Steuermitteln bezahlten Unternehmen Hochschule profitieren. Auch die Studis dürfen sich als Kunden fühlen. Deshalb soll ihnen eingeräumt werden, ihre Lehrenden zu beurteilen. Ein schwacher Ersatz dafür, dass die Mitbestimmung in den Gremien beschnitten wird. Deshalb titelt das Asten-Flugblatt: „Der Muff von 1.000 Jahren.“ Denn das sozialdemokratische Hochschulgesetz schafft es, mit progressiven wirtschaftsnahen Konzepten einen Schritt vor und zugleich zwei Schritte zurück zu gehen: zur Ordinarienuniversität und zur Protegierung eines Bildungsbürgertums, das seinen Kids die Gebühren zahlen kann.

Isabelle Siemes

Marcus Meier