Maulkorb ohne Biss

■ Silvio Berlusconi läuft Sturm gegen das geplante Verbot von TV-Wahlwerbung. Dabei würde es seinen Einfluss kaum schmälern

Rom (taz)– „Die nächsten Wahlen sind weder legitim noch frei, noch demokratisch.“ Darf man Silvio Berlusconi glauben, dann wird es beim im April anstehenden Urnengang für Italiens Regionalparlamente fast so hergehen wie weiland in der DDR. Einen „Staatsstreich“ erlebe das Land, erklärt Berlusconi (übrigens ganz ungehindert im Staatsradio RAI), die „Kommunisten an der Regierung“ seien dabei, ein „Regime“ zu errichten und per „Maulkorbgesetz“ die Opposition auszuschalten, ja Ministerpräsident D’Alema sei ein zweiter Hitler: So wie der Bücher verbrannt habe, so unterdrücke D’Alemas Koalition die Meinungsfreiheit der Opposition.

Berlusconis Aufregung hat einen guten Grund: Der Oppositionsführer ist als Freiheitskämpfer in eigener Sache unterwegs, denn gerade hat Italiens Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Regierungsparteien ein Gesetz zur „Waffengleichheit“ im Wahlkampf verabschiedet, das noch in dieser Woche durch den Senat gehen soll. Seine Kernbestimmung: In Zukunft sind bezahlte Wahlspots auf den nationalen TV-Kanälen generell verboten. Das Verbot betrifft alle Parteien – getroffen aber fühlt sich vor allem Berlusconi. Seit nun sechs Jahren in der Politik aktiv, geht er weiter unverdrossen seinem Zweitberuf als größter TV-Tycoon des Landes nach. Und seine er drei nationalen Sender liegen bei den Einschaltquoten mit der staatlichen RAI fast gleichauf. Der Zweitjob lohnt sich finanziell wie auch politisch. Wann immer Wahlkämpfe anstehen, werden die Kanäle des Berlusconi-Konzerns Mediaset mit Werbespots der Berlusconi-Partei Forza Italia überschwemmt. Allein zur Europawahl 1999 schaltete Forza Italia 1.800 Spots, dreimal so viel wie alle anderen Parteien zusammen. Das propagandistische Dauerfeuer zeitigte Wirkung – Forza Italia gewann mit 25 Prozent die Wahl. Und weil’s so schön geklappt hatte, begann schon Anfang Februar die TV-Propagandaoffensive für die Regionalwahlen am 16. April: Fröhlich der azurblaue Hintergrund, fröhlich die Parteihymne, fröhlich das Lächeln, mit dem Berlusconi den Wählern sein „Italien der Liebe“ andient, wenn erst mal das Italien des Hasses, sprich: der „Stalinist“ D’Alema, geschlagen ist.

Verzerrter Wettbewerb? Berlusconi mag in der Werbeoffensive nichts Verwerfliches sehen, schließlich habe die Partei die Werbezeiten korrekt bezahlt. Er verschweigt vornehm, dass für ihn der Spot- zum Spottpreis wird, zur puren Umbuchung vom Konto des Politikers aufs Konto des Unternehmers Berlusconi. Die anderen Parteien dagegen finden sich in der bizarren Situation, mit ihrem Wahlkampf zugleich dem politischen Gegner die Taschen zu füllen, wann immer sie Spots bei Mediaset buchen. Alternative TV-Werbemöglichkeiten gibt es nicht, denn für die staatliche RAI gilt schon bisher ein Verbot bezahlter Polit-Propaganda.

Mit dem neuen Gesetz wird dieses Verbot auf die Privatsender ausgedehnt. In Zukunft sollen stattdessen alle Parteien gleichermaßen Zugang zu Gratiswerbezeiten haben, sowohl bei der RAI, die zur Übertragung verpflichtet ist, als auch bei den Privaten, denen es freisteht, die Spots auszustrahlen oder nicht.

Weiterhin unbeschnitten bleibt jedoch die Freiheit der Mediaset-Kanäle, rund um die Uhr das ganz gewöhnliche Programm in Propaganda für Berlusconi umzuwidmen. Ob Nachrichten, die oft genug so klingen, als würden sie direkt im Parteihauptquartier produziert, und deren Höhepunkt der täglich obligate Berlusconi-Auftritt darstellt – ob Magazine, Satiresendungen oder Shows, kaum eine Sendung bleibt ungenutzt.

Ganz nebenbei kontrolliert der Oppositionsführer auch noch den größten Buchverlag des Landes, das auflagenstärkste politische Wochenmagazin und – über seinen Bruder Paolo – die Tageszeitung Il Giornale. Sehr bequem und ziemlich löchrig ist also der Maulkorb, der Berlusconi mit dem Anti-Spot-Gesetz verpasst wird. Keiner weiß das besser als der vermeintlich Geknebelte selbst.

Die schrillen Töne aber kommen nicht von ungefähr; schon liegt ein Gesetzentwurf vor, der Medienunternehmern die Übernahme politischer Ämter untersagt. Kommt dieses Gesetz durch, dann ist’s in der Tat aus mit der Freiheit – der Freiheit Berlusconis, sich 2001 unter Einsatz seines Medienimperiums erneut auf den Stuhl des Regierungschefs zu katapultieren. Michael Braun