Angst vor Hinrichtung Unschuldiger

In den USA ist eine neue Debatte über die Todesstrafe entbrannt. Immer mehr Staatenund Städte fordern ein Moratorium für Exekutionen ■ Aus Washington Peter Tautfest

Immer mehr Städte und Bundesstaaten der USA wollen die Vollstreckung von Todesstrafen aussetzen. Am Freitag vergangener Woche schloss sich die Stadt Philadelphia an. Ende Januar hatte der Gouverneur von Illinois, George Ryan, Exekutionen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. In seinem Bundesstaat waren seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahre 1977 zwölf Menschen exekutiert, dreizehn Verurteilte aber durch das Auffinden neuer Beweismittel zum Teil erst Stunden vor ihrer Hinrichtung aus der Todeszelle befreit worden. Gouverneur Ryan will sicherstellen, dass die Todesstrafe „gerecht“ verhängt wird, um zu vermeiden, dass „der Albtraum wahr wird und der Staat ein unschuldiges Leben auslöscht“.

Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania ist die achte und größte Gemeinde, die vorgeschlagen hat, es dem Vorbild Gouverneur Ryans nachzutun. Moratorien beantragten auch Städte wie Charlottesville, Virginia, New Haven, Connecticut und Chapel Hill in North Carolina. Und auch in den Bundesstaaten Maryland, Alabama, New Jersey, Washington und Oklahama wird über Moratorien beraten.

Jetzt forderte Senator Russ Feingold aus Wisconsin Präsident Bill Clinton auf, auch auf Bundesebene die Todesstrafe auszusetzen. Am Wochenende wies Justizministerin Janet Reno ihren Stellvertreter an, zu prüfen, ob im Bundesstrafrechtssystem ein rassisches Ungleichgewicht zu Ungunsten schwarzer Verurteilter besteht – von den 21 zum Tode Verurteilten, die im Bundesgefängnis in Terre Haute, Indiana, auf ihre Hinrichtung warten, sind 14 schwarz.

Zum ersten Mal seit das Bundesverfassungsgericht die Todesstrafe wieder zuließ, scheint sich die Dynamik der Diskussion umzukehren. Die Chicago Tribune veröffentlichte im letzten Monat eine Artikelserie über die Todesstrafe und wies nach, dass die meisten Todesurteile in Fällen ergehen, in denen Verteidiger schlecht bezahlt und/oder schlecht vorbereitet waren. In 33 Fällen wurden in Illinois zum Tode Verurteilte von Anwälten vertreten, die seither als Verteidiger suspendiert beziehungsweise aus der Anwaltskammer ausgeschlossen wurden. Die meisten hatten keinerlei Erfahrung in Kapitalverfahren.

Die Verteidigung jener meist mittellosen Angeklagten, gegen die die Todesstrafe beantragt wird, wird sehr unterschiedlich gehandhabt. In Texas etwa bestellt der jeweilige Richter einen Pflichtverteidiger, der in einem bekannten Fall 11,84 Dollar die Stunde erhielt. In den Bundesstaaten Colorado und New York hingegen gibt es eine Pflichtverteidigungsbehörde mit einem eigenen Budget. Pflichtverteidiger werden auf Kapitalprozesse vorbereitet und eigens für diese Aufgabe geschult.

Die Unterschiede sind dramatisch. In Colorado wurde seit 1975 in 52 Mordfällen die Todesstrafe beantragt, aber nur in fünf Fällen verhängt und in nur einem Fall vollstreckt. In Texas wurden im gleichen Zeitraum 206 Menschen hingerichtet.

Das texanische Parlament verabschiedete zwar letztes Jahr einstimmig die Einrichtung solcher Pflichtverteidigerbüros. Doch das Gesetz wurde per Veto gestoppt – vom Gouverneur George W. Bush, der sich gerade anschickt, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden.

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