Mann ohne Eigenschaften

■ Filmischer Verwicklungsroman: Bruno Podalydès' Komödie „Dieu seul me voit“ erinnert an Jacques Tati wie an das Autorenkino

Trotz Procarin sind die Jahre des beginnenden Haarausfalls für Männer Mitte dreißig die schlimmsten. Ein Lied davon singen kann Albert (Denis Podalydès), der Protagonist aus Bruno Podalydès' seltsam-schräger Thirty-Something-Komödie Dieu seul me voit. Ständig wird seine fröhlich vor sich hinwachsende Platte von Zeitgenossen lautstark neu entdeckt, und ständig muss er sich fragen lassen, ob denn auch die Schamhaare bereits erste Ausfallerscheinungen zeitigen.

Vergleichsweise lässt sich das nich relativ leicht wegstecken, denn eigentlich hat der als Mikrofongalgen-Halter und Toningenieur beim Provinz-Fernsehen arbeitende Albert andere Probleme. Das größte von ihnen teilt er wiederum mit Woody Allen: die eigene Persönlichkeit. Albert ist ein Zauderer vor dem Herrn. Ganz besonders, wenn etwas für ihn auf dem Spiel steht, und erst recht, geht es um seine amourösen Verwicklungen.

Deren gibt es in Dieu seul me voit an die drei. (Mindestens). Gleich zu Beginn sehen wir Albert an einer Straßenkreuzung, hadernd ob, wann und wie er sie überqueren soll, um jener gutaussehenden Frau zu begegnen, die sein lüsternes Auge erspäht hat. Später trifft er eine Krankenschwester, eine Polizistin und eine Regisseurin. Stets geht aber irgendetwas schief, entweder fehlen ihm die richtigen Worte – oder ihm wird einfach schlecht. So sehr Albert nämlich versucht, sein Innerstes nach außen zu kehren, entpuppt er sich als moderner Mann ohne Eigenschaften, der das Stimmengewirr seiner Umwelt vielmehr reflektiert, als darin selbst um Gehör kämpft.

Auch das erinnert an Woody Allen, der in Zelig eine ganz ähnliche, wenn auch wild-allegorisch überzeichnete Figur entwarf. Podalydès hingegen, Jacques Tati darin genauso verpflichtet wie dem französischen Autorenfilm, erzählt seinen Verwicklungsroman unaufdringlicher, psychologischer – und mit Blick für die Details des Alltags. Wenn er dabei kein wirkliches Ende finden kann, dann vielleicht auch, weil alles andere sowieso gelogen wäre.

Tobias Nagl

ab heute, 3001, 20.30 Uhr