„Ich verstehe Inge Viett“

Wie frei darf man Leben verfilmen? Ein Interview mit Wolfgang Kohlhaase, dem Drehbuchautor von „Die Stille nach dem Schuss“

Gerhard Kleins Klassiker „Berlin – Ecke Schönhauser“ liegt 44 Jahre zurück. Mit diesem Film wurde auch Wolfgang Kohlhaase, 69, als Drehbuchautor bekannt. In der Zusammenarbeit mit Konrad Wolf entstanden 1968 „Ich war 19“ und 1980 „Solo Sunny“. Für den Stoff zu „Die Stille nach dem Schuss“ hatte Kohlhaase schon recherchiert, bevor er mit Volker Schlöndorff übereinkam.

taz: Herr Kohlhaase, wie hat sich eigentlich die Arbeitsteilung zwischen Ihnen und Volker Schlöndorff gestaltet?

Wolfgang Kohlhaase: Wir sind irgendwann auf unser gemeinsames Interesse an einem solchen Stoff gestoßen. Jeder hat dann versucht, die eigenen Lücken zu schließen; wir hatten ja einen unterschiedlichen Vorlauf, was das Wissen über die jeweils andere deutsche Vergangenheit betraf. Ich habe dann angefangen, die Leute im Gefängnis zu besuchen. Mir ging es dabei weniger um die Fakten – die konnte man ja überall lesen – sondern um die Menschen selbst. Und Fragen nach ihrem Alltag. Was haben die denn gemacht, wenn sie nicht gerade Bomben geworfen oder jemanden entführt haben. Ich wollte einfach ein bisschen Geruch gewinnen. Aber es war auch sofort klar, dass wir diese Hintergründe unheimlich verkürzen mussten. Wir konnten ja nicht die gesamte Geschichte der RAF oder der Stasi in einen Film packen. Das war ein Problem der erzählerischen Ökonomie: Wie erzählt man einfach über schwierige Dinge, die nicht jeder weiß.

Es war also nicht so, dass Sie das komplett fertige Buch abgegeben und dann gewartet haben, was daraus wird?

Nein, die Arbeit hat sich vermischt. So habe ich alle Filme meines Lebens gemacht, als Arbeit mit jemandem. Zuletzt wechselte die Arbeitsteilung dann natürlich eindeutig zu Gunsten von Schlöndorff. Und ein Buch verändert sich ja immer, verliert etwas und gewinnt auch etwas dazu. Die völlig falschen Partner darf man sich allerdings nicht suchen. Das setzt ein gewisses Vertrauen voraus, man muss schon ähnliche Filme gut oder schlecht finden. Wenn man Glück hat, wird der Film nach einer langen Weile doch so ähnlich, wie man ihn gedacht hat.

Der eigentliche Abgrund des Stoffes, und damit sein Potential, besteht ja in der Figur. In diesem Aberwitz, dass jemand mit seiner ungeheuren Utopie von Weltverbessertum im Schrebergarten-Sozialismus der DDR landet.

In meinen Gesprächen mit den betroffenen Personen habe ich diesen Schock nicht so gespürt. Diese Leute kamen zu ihrer eigenen Verwunderung in die DDR. Dass es hier bescheidener, grauer, ordentlicher zuging als im Westen, stellte für sie als erklärte Feinde des so genannten Konsumterrors nicht so ein Problem dar. Und sie waren ja bereits gehörig demoralisiert, was die eigenen Ideale betraf. Vielleicht war es ja gerade diese Banalität des Alltags, die ihnen an der DDR gefallen hat, dass sie hier ein Leben führen konnten, das sie bisher noch gar nicht kannten. Die Sehnsucht nach Normalität darf nicht unterschätzt werden.

Im Presseheft erscheint gleich zweimal die Aussage: „Alles ist so gewesen. Nichts ist genau so gewesen.“ Und auch am Ende des Films lesen wir diese Verlautbarung. Die Analogien zum Leben Inge Vietts sind aber überdeutlich: Angefangen von winzigen Details bis hin zu ganzen Szenen, wie die Verfolgungsjagd in Paris, finden sich eine ganze Reihe von Übernahmen aus ihrer Autobiografie. Dennoch wird von Seiten der Produktion der Name Inge Vietts nicht ein einziges Mal erwähnt.

Zunächst: Ich verstehe Inge Viett. Sie findet etwas aus ihrem Leben in diesem Film, aber sie findet sich selbst nicht darin wieder. Bestimmt würde sie zu diesem Thema etwas ganz anderes zu sagen haben. Aber man kann die Modelle für einen Stoff nicht zu dessen Richtern erklären. Inge Viett, die ich wirklich als Person respektiere, hat das Drehbuch gelesen und es hat ihr nicht gefallen. Es hat ihr so wenig gefallen, dass sie gar nichts mehr dazu sagen wollte. Das musste ich auch akzeptieren. Die Anwälte haben sich getrennt mit der gegenseitigen Versicherung, weiter über das Problem zu sprechen.

Kompliziert stellt sich dabei die Frage dar, was frei verfügbare Zeitgeschichte ist und was urheberrechtlich geschütztes Gedankengut. Das wollten die Juristen eigentlich unter sich aushandeln. Ich habe mir immer eine Formel vorgestellt im Sinne von „Frei nach Motiven von ...“. Damit hätte man ideell und auch materiell leben können. Warum dies nicht geschehen ist, kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde mich gern persönlich und völlig unaufgeregt mit Frau Viett unterhalten. Weniger über den Film, sondern über alle möglichen Sachen. Ich fühle mich unwohl in solch einer verzwickten Lage. Sie hat jedes Recht, zutiefst berührt zu sein. Schließlich ist es ihr Leben.

Interview: Claus Löser