Zoologie der Sportlerarten

Prof. H. Hirsch-Wurz

Der Homo aquilensis, auch Skispringer genannt, stammt ursprünglich aus Finnland und redet nichts. Er redet so ausgiebig nichts, dass ihn die anderen Finnen, die auch nichts reden, deshalb verspotten und einen lebenden Zombie nennen. Darüber ist der finnische Skispringer sehr verdrossen, und zur Strafe schweigt er beleidigt oder wird Alkoholiker oder beides. Früher kam der Skispringer fast ausschließlich in Skandinavien vor, vereinzelt aber auch in den Alpen oder in Thüringen, wo er entweder beide Arme empor reckte und deshalb Recknagel genannt wurde oder aus Oberwiesenthal stammte, Weißflog hieß und erheblich mehr redete als sein finnischer Artgenosse, dafür aber auch sehr komisch.

Der Skispringer: Selbst im Schwarzwald wurden kleinere Herden entdeckt

In Skandinavien ist der Skispringer nach wie vor weit verbreitet, außer in Finnland kommt er besonders häufig in Norwegen vor. In Schweden dagegen ist der Homo aquilensis so gut wie ausgestorben, obwohl es ein Exemplar aus dieser Region war, Jan Böklov nämlich, der den V-Stil, eine dem Skispringer eigentümliche Form luftiger Fortbewegung, erfand. Die Kampfrichter gaben ihm aber so lange schlechte Haltungsnoten, bis er die Schnauze voll hatte und aufhörte; kaum war das passiert, legalisierten sie seine Innovation, und fortan hüpften alle in Böklov-Manier. Wegen dieser Ungerechtigkeit sind die Schweden noch heute beleidigter als der schweigsamste Finne und spielen bloß noch Tischtennis (Siehe Kapitel über den Homo pinguspongus).

Kommt der Skispringer aus Österreich, ist er entweder sehr lebenslustig oder hat eine Familie, von der er so ausdauernd erzählt, dass man wünschte, er wäre Finne. Die lebenslustige Form des Homo aquilensis austriacus hat bis ins hohe Alter Pausbacken und ist weithin an den geröteten Nasenscheidewänden erkennbar. Die familienbewusste Variante gewinnt dafür die Vierschanzentournee.

Womit wir beim Schwarzwälder wären. Früher war der Schwarzwälder weniger Skispringer als Hinterherflieger, weshalb er meist zum Homo jörgliensis mutierte und in der Nordischen Kombination antrat, weil er als Postbote gut zu Fuß war. Neuerdings sind aber auch im Schwarzwald kleinere Herden Skispringer entdeckt worden, die von den Einheimischen Adler genannt werden, was, mit Verlaub, ein Unsinn ist. Schließlich spreizen die Skispringer nicht die Flügel, sondern die Füße, und ich möchte den Adler sehen, der mit solch einem Benehmen über die Runden käme.

Der Homo aquilensis germanicus tritt meist gehäuft auf und ist stets umringt von einer Schar kreischender Teenager. Außerdem erkennt man den Schwarzwälder Skispringer daran, dass er die Vierschanzentournee nicht gewinnt, noch jünger wirkt, als er ist, dauernd verschmitzt lächelt und aussieht wie eine Tafel Schokolade. In freier Wildbahn bekommt man ihn selten zu Gesicht, weil er die meiste Zeit seines Lebens in einem Fernsehstudio verbringt, das er nur verlässt, wenn er einen Sprung zu absolvieren hat. Vermutlich würde er das Studio überhaupt nicht verlassen, wenn er nicht einen bärbeißigen Bundestrainer zum Vorgesetzten hätte, der ihn daran erinnert, dass die Bestimmung eines Adlers das Fliegen ist und nicht das Quatschen. Ist der Bundestrainer selbst im Studio, sieht man ihm deutlich an, dass er all diese ungefragt grinsenden Moderatoren am liebsten auf der Stelle erwürgen und dann mit seinem Adlerschwarm nach Finnland auswandern würde.

Außerhalb Europas kommt der Homo aquilensis nur noch in Japan vor. Dort liebt man das Skispringen, weil es die Sportart ist, die dem Harakiri am nächsten kommt. Wer nicht fett genug für Sumo ist, wird daher Skispringer und, wenn Olympische Spiele in Japan sind, Nationalheld. Sind Olympische Spiele anderswo, verliert der japanische Skispringer am Schluss die Nerven und wird nur Zweiter. Gewinnt er, weint er herzzerreißend, verliert er, schämt er sich schrecklich und lacht sich vor lauter Verlegenheit kaputt, weshalb er als fair gilt. Kommt er allerdings aus dem Norden, von der Insel Hokkaido, heißt er Funaki und schaut sehr ernst, egal, ob er gewinnt oder verliert. Das hat er mit dem Finnen gemeinsam.

Der Autor ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.