Handelskonzern Wal-Mart kämpft

Rekordjahr für weltweit größten Handelskonzern. Preiskampf in Deutschland bei Lebensmitteln, Textil- und Elektronikhandel bleibt entspannt ■ Von Christian Krämer

„Noch funktioniert der Wettbewerb. Das kann sich aber schnell ändern. Dann profitieren die Kunden nicht mehr“

Berlin (taz) – Ein Gespenst geht um im deutschen Einzelhandel, das Gespenst der amerikanischen Freundlichkeit und Finanzkraft – Wal-Mart. Denn seit dem Markteintritt des weltweit größten Einzelhändlers vor zwei Jahren ist nichts mehr, wie es einmal war. Stark verunsichert zeigt sich die Konkurrenz in deutschen Einzelhandel. Wal-Mart habe die finanziellen Möglichkeiten, den deutschen Markt zu zerstören und einen Konzentrationsprozess in Gang zu bringen, der im Monopol enden könnte, beschwören einige Experten bereits den schlimmsten Fall.

Währenddessen eilt Wal-Mart von Rekord zu Rekord. Auch 1999 konnte der Umsatz wieder kräftig zulegen, teilte das Unternehmen gestern mit. Der Umsatz stieg um satte 20 Prozent auf 165 Milliarden Dollar (rund 330 Milliarden Mark), nachdem die beiden Vorjahre dem Handelsgiganten bereits Wachstumsraten von 17 und zwölf Prozent bescherten. Damit erreicht Wal-Mart nach Angaben des amerikanischen Bundesamtes für Einkommensstatistik einen Anteil von fünf Prozent an allen Handelsausgaben der Vereinigten Staaten, die sich im Jahr 1999 auf insgesamt drei Billionen Dollar beliefen.

Dagegen schafft es der deutsche Einzelhandelsriese und Marktführer Metro lediglich auf 61 Milliarden Mark. Wal-Mart ist umsatzstärker als die sieben bedeutendsten deutschen Lebensmittelverkäufer zusammen. Der Wal-Mart-Konzern erwirtschaftet einen Reingewinn von – für Europäer unglaublichen – neun Milliarden Mark im Jahr. „Die Furcht der Konkurrenz ist nicht unbegründet. Denn Wal-Marts Strategie ist auf Expansion ausgerichtet“, sagt Gerd Härig, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels.

Binnen Jahresfrist hat sich Wal-Mart durch die Übernahmen von 21 Wertkauf- und 74 Interspar-Läden einen Umsatz von 5,5 Milliarden Mark erreicht. Ein Ende des Wachstums durch Unternehmensübernahmen ist angesichts der gefüllten Kriegskassen des US-Giganten nicht abzusehen, obwohl derartige Überlegungen, wie beispielsweise Gerüchte über eine mögliche Übernahme der Metro AG, stets dementiert werden. Dennoch tritt der Konzern seit August letzten Jahres aggressiver auf und betreibt aufgekaufte Läden mittlerweile unter eigenem Namen. Die gekauften Großmärkte werden zu Wal-Marts amerikanischer Prägung umgebaut – ein Versuch, die heimischen Erfolgsrezepte auf den deutschen Markt zu übertragen. Zur Unternehmensstrategie gehört die Philosophie, ihren Kunden dauerhaft die niedrigsten Preise anzubieten. Die Folge ist ein erbitterter Preiskrieg auf dem deutschen Lebensmittelmarkt. Dadurch mussten die Lebensmittel-Einzelhändler ihre Waren 1999 zwei Prozent billiger abgeben als im Vorjahr. Bei Obst, Gemüse und Kaffee übertrafen die Abschläge gar 10 Prozent. Der Gewinnanteil am Umsatz beläuft sich auf maximal 0,8 Prozent, schätzt Lebensmittel-Experte Härig. Und für 2000 rechnet er mit weiteren Preissenkungen: „Die etablierten Handelsketten sind nur noch darauf aus, ihre Marktanteile zu sichern. Das bedeutet weitere Preisrücknahmen.“

Wal-Marts jüngste Preisoffensive bestätigt seine Einschätzung. Anfang Januar wurden mehrere hundert Produkte – von Lebensmitteln über Babykleidung bis zu Elektroartikeln – massiv gesenkt. Die Preise fielen von einem bereits sehr niedrigen Niveau um weitere 20 Prozent. Die Erfahrungen der letzten Preisrunden zeigen, dass die Konkurrenz schnell nachziehen wird. Denn besonders die Lebensmittelpreise sind, da in verschiedenen Geschäften die gleichen Markenartikel geführt werden, besonders gut vergleichbar. Deutliche Preisunterschiede führen somit leichter zum Wechsel des Supermarktes als bei anderen Produkten.

Gewinne werden im deutschen Einzelhandel kaum noch eingefahren. Daher geht die Angst vor einem ruinösen Wettbewerb um. Härig befürchtet, dass Wal-Mart seine deutschen Verluste durch die horrenden US-Gewinne finanziere. Dem Verdrängungswettbewerb fällt nicht nur der Mittelstand zum Opfer. „Auch Milliarden-Firmen wie Tengelmann geraten ins Schwanken. Viele werden verschwinden oder in toto aufgekauft“, vermutet Dirk Klasen von der Arbeitsgemeinschaft Verbraucherverbände. Die Tendenz zeige weiter in Richtung Konzentration. „Noch funktioniert der Wettbewerb. Das kann sich aber schnell ändern. Dann profitieren die Kunden nicht mehr“, befürchtet Klasen.

Aufgrund der geringen Gewinnerwartungen dehnen immer mehr Handelsketten ihre Produktpalette aus. Aldi macht beispielsweise heute mit Lebensmitteln weniger Umsatz als mit Textilien, Haushaltsgeräten und neuerdings Computern. In diese Non-Food-Bereiche drängt auch Wal-Mart. „Die Preisrücknahmen Wal-Marts in diesen Segmenten sind eher eine Anpassung an die Konkurrenz als eine Unterbietung“, urteilt Holger Wenzel, Geschäftsführer des Hauptverbandes Deutscher Einzelhandel. Er sehe deshalb keine radikalen Veränderungen durch das Auftreten der Amerikaner. Bei einem Marktanteil von unter einem Prozent bestehe keine konkrete Gefahr für den Markt. „Wal-Mart hat zwar beachtliche Kapitalmöglichkeiten. Dennoch sollte die Lage nicht überdramatisiert werden.“ Denn von den 720 Milliarden Mark Jahresumsatz im deutschen Einzelhandel entfallen lediglich 5,5 Milliarden Mark auf Wal-Mart. Und von den 440.000 Einzelhandelsgeschäften gehören Wal-Mart gerade einmal 95.

Für den Elektronikbereich sieht Gotthard Graß vom Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) keine spezifischen Auswirkungen. Flächendeckend unterbiete Wal-Mart in diesem Bereich nicht die Preise. Die Preisführerschaft bei einzelnen Geräten, womöglich auch nur für einen begrenzten Zeitabschnitt, sei kein Problem für den Elektronikmarkt. „Die Kunden wünschen eine kompetente Beratung, die Wal-Mart im Gegensatz zu den meisten Fachgeschäften nicht bieten kann“, so Graß. Reine Freundlichkeit reiche den Kunden nicht aus.

Ähnlich gelassen reagiert die Textilindustrie. Man freue sich gar über den neuen Wettbewerber, eine direkte Konkurrenzsituation zwischen Wal-Mart und dem Fachhandel könne man, so Jürgen Dax, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Textileinzelhandel, nicht erkennen. Zu unterschiedlich seien die Produkte, die Qualitäten und das Ambiente. „Wir haben es mit völlig unterschiedlichen Konzepten und Sortimenten zu tun, die sich nur schwerlich vergleichen lassen.“