„Die CDU braucht eine glaubwürdige Person“

Der Publizist Warnfried Dettling über die Chancen eines Neuanfangs bei den Konservativen

taz: Herr Dettling, die Bundestagsfraktion der CDU als eine Arena, in der johlende Hinterbänkler den Vorsitzenden meucheln – das kannten wir bisher nicht. Was passiert da nur mit der CDU?

Warnfried Dettling: Seit Wochen steht die ganze jüngere Generation der CDU vor den Scherbenhaufen der Kohl-Ära. Nun ist einigen der Geduldsfaden gerissen. Die in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sehen ihre politischen Hoffnungen dahinschwinden, andere wissen gar nicht, wie es überhaupt weitergehen soll. Da riskiert man lieber jetzt den Konflikt mit Schäuble, als dass es einfach so weiterdümpelt.

Wofür steht diese ungeduldige Generation, wie wird sie die CDU als organisierten Konservatismus verändern?

Klar ist bloß, wogegen diese Generation ist: Sie empfindet eine innere Ablehnung, ja eine Abscheu gegen das System Kohl – einer inhaltsleeren und anspruchslosen Politik, die nur auf eine Person konzentriert war. Die Neuen werden versuchen, in der Bildungspolitik und im Sozialstaat die Mitte neu zu definieren. Das heißt, dass die alte CDU, ein Bündnis zwischen klar organisierten Gruppen, nun auf das neue Lebensgefühl und die neue Arbeitswelt ausgerichtet wird.

Welche Person, welchen Typ kann man sich an der Spitze einer solchen CDU vorstellen?

Es müsste das jemand sein, der die grundlegende Frage stellt, wie es so weit hat kommen können: wie die CDU, wie auch der Parteienstaat aus dieser Situation wieder herausfindet. Zugleich braucht die CDU eine glaubwürdige Person, die politisch und mit Ideen in die Offensive geht. Um jemanden aus der Zeit, aber nicht aus dem Ancien Régime Kohls zu nennen, dann wäre das Kurt Biedenkopf. Er wäre ein guter Übergangsvorsitzender der CDU, der die Partei in zwei Jahren in neue Hände übergibt. Bei den 40-, 50-Jährigen könnte man an Angela Merkel oder Jürgen Rüttgers denken.

Auch die Fraktionsspitze muss neu besetzt werden. Genannt werden zwei Namen: Friedrich Merz und Horst Seehofer. Für welche Inhalte stünde die CDU/CSU-Opposition unter diesen Vorsitzenden?

Inhaltlich sehe ich keine großen Unterschiede zwischen Seehofer und Merz. Sowohl ihre Konzepte für die Renten- als auch die Gesundheitspolitik ähneln sich. Da stehen beide für Neuansätze in der Sozialpolitik, die ein Mix aus kollektiv organisierter Vorsorge, staatlicher Grundsicherung und mehr Eigenverantwortung sind.

Brächte der scharfzüngige Merz nicht einen sehr viel aggressiveren Stil in den Reichstag?

Weder Seehofer noch Merz würden polarisieren. Das würden die Menschen nach allem, was vorgefallen ist, nicht verstehen.

Was bedeutet das, was der CDU jetzt zustößt, für die Parteienlandschaft der Republik?

Zwei Szenarien sind denkbar. Erstens, die CDU hat den Mut, sich personell und politisch zu verändern. Dann kann es sein, dass in sechs bis acht Jahren eine Regierung Schröder alt aussieht gegen eine runderneuerte CDU. Die zweite Möglichkeit wäre so etwas wie österreichische Verhältnisse. Dass das bürgerliche Lager zerbröselt und sich rechts von der Union etwas Neues auftut, dessen personelle Repräsentanz jetzt noch nicht erkennbar ist. Die CDU bliebe dann bei 30 Prozent, das ließe aber auch die übrigen Parteien nicht unberührt. Kurz: es hieße, dass die stabile Parteienkonstellation der Bonner Republik weg wäre. Interview: Christian Füller