Berlinalie
: Totale Identifikation

Wenn man mit dem Fahrrad die Stresemannstraße zum Potsdamer Platz runterfährt, kommt man an einem Graffiti auf dem Parkplatz beim Gropius-Bau vorbei: „Mediensäue“ steht da. In dem japanischen Video „New God“ kommt die nationalistische Punksängerin Karin Amamiya anfangs rüber wie ein existenzialistischer Punk: Ich hasse mich, ich bin nichts, oft habe ich versucht, mich umzubringen, ich bin Dreck und genauso präsentiere ich mich, und euch geht es doch eigentlich auch so, ihr hasst euch in Wirklichkeit, ihr verliert euch in zweitrangigen Streitigkeiten, ihr würdet durchdrehen, wenn es kein Fernsehen gäbe usw., aber ihr Konsumentensäue verleugnet das, ihr tut so, als wäre alles super, ihr tragt teure Kleider, fahrt schicke Wagen und lasst euch noch euer politisches Engagement gut bezahlen und sonnt euch selbstzufrieden darin.

Das Porträt der rechten Band „The Revolutionary Truth“ war in vielem skandalös. Anfangs war die schönverzweifelte Heldin mit dem Bandleader liiert; nach dem Film war der linke Filmemacher mit ihr zusammen. Das erzählte sie beiläufig und ein paar Leute im Kino klatschen erfreut. Unglaublich eigentlich, dieser selbstzufrieden-herablassende, an Böhme/Giordano/Duve vs. Haider erinnernde Tonfall, in dem dann auch zwei, drei linke Fragen gestellt wurden. Viele fahren mit dem Fahrstuhl des Sony-Gebäudes nur, weil der Fahrstuhl so schön gleitet. Ein erregter Streit begann, als der eine Filmemacher dem anderen einen Film ans Herz legen wollte und sich hinreißen ließ zu sagen, dass der Film viel besser sei als alles, was der andere je gemacht habe. Was hast du denn gemacht an Filmen, ich hab zwanzig Mal mehr Filme gedreht.

Zeitweise dreht man fast durch und will Freunden die Freundschaft kündigen, weil sie keine Zeit haben, den Film zu sehen, den man ihnen ans Herz gelegt hat und man beschimpft sie als Rassisten, weil man ja weiß, dass sie in den Film gegangen wären, wenn irgendwelche Bekannten Regie geführt hätten. Manche identifizieren sich mit den Schauspielern, manche mit dem Regisseur, andere wieder mit der Atmosphäre, die einen Film durchzieht oder auch mit dem Kino. Der italienische Regisseur Alessandro Piva („Lacapagira“) freute sich königlich in einem Kino zu sei, in dem es Vorhänge gibt, die aufgehen. In Italien gäbe es das nicht. Überhaupt ist es in den Spätvorstellungen im Delphi am schönsten und das Kino wird zum Fest, weil die freudige Erwartung der festlich elegant gekleideten Asiaten – bei den Johnny-To-Filmen zum Beispiel – so ansteckend ist. Das begeistert einen nicht nur während des Films, sondern wirkt auch noch weiter, und angesteckt von Hongkong wirkt Berlin plötzlich wie eine wunderbar aufregende Großstadt, wenn man auf seinem Fahrrad um halb drei sanft über die Straßen gleitet. Kuhlbrodt