Trauer in Bildern

■ Einfach leben: Der Dokumentarfilm „Benjamin Smoke“ (Forum) über den schwulen, aidskranken Sänger Benjamin

Es tut weh“, sagt Benjamin, der Mann ohne Nachnamen, „aber man kann nicht damit aufhören.“ Er legt sich nicht fest, womit er nicht aufhören kann: Mit der Musik, der Band, mit dem Schwulsein, dem Drag-Queen-Dasein, den Drogen, dem Kiffen, dem Alkohol, dem Wohnen im falschen Viertel. Oder einfach mit dem Leben.

Benjamin war ein schwuler Sänger mit Aids, der in Atlanta eine Band namens Smoke hatte. Der Dokumentarfilmer Peter Sillen und der Medienkünstler Jem Cohen haben über ihn einen Film gedreht. In „Benjamin Smoke“ sagt Benjamin: „Ich will nicht der schwule Sänger mit Aids werden.“ Im Januar 1999 starb Benjamin im Alter von 38 Jahren an Aids.

Manchmal, so klischeehaft das ist, entsteht große Kunst tatsächlich aus großem Leid. Doch davon, vom Tod, geht der Film nicht aus. Der Film tut so, eine ganze lange Weile lang, als sei Benjamin noch am Leben. Genau das ist es, was diesen Film sehenswert macht: einen Menschen zu sehen, der trotz Aids, trotz der offensichtlichen Folgen der Krankheit, vital bleibt, sein Leben lebt, einfach lebt. Abgemagert, klapperdürr, aber lebt. Dann zieht sich Benjamin um, zieht ein blau leuchtendes Kleid an. „Wenn ihr wollt, könnte ihr diese erbärmliche Nacktheit ja rausschneiden“, sagt er. Es ist drin geblieben, und es ist nicht entwürdigend geworden. Aber warum, das ist schwer zu sagen.

Doch diese Fragen rücken in den Hintergrund. Wenn Benjamin singt, wenn seine Band Smoke dazu spielt, ist da nur noch diese Musik. Plötzlich wird klar, wie einfach das Leben sein kann, wenn nur die Töne an der richtigen Stelle sitzen. Ein bisschen Trompete, ein Cello, eine Gitarre, Benjamins Stimme. Es ist nur Rock 'n' Roll, man muss es vielleicht nicht mögen, aber es ist da und es bleibt da. Die Platten von Smoke werden momentan wieder veröffentlicht.

Cohen und Sillen filmen mit Schwarzweißmaterial, mit Farbmaterial, sie finden schöne Bilder, das eine oder andere sehr schöne Bild, obwohl Teile auf Video und Super 8 gedreht und erst später auf 16 mm aufgeblasen wurde. Immer wieder werden sekundenlange Schwarzblenden eingebaut, die das Ende ahnbar werden lassen, sie benutzen alte Bilder aus CBGBs-Zeiten, aus Benjamins Kindheit. Man sieht die absurd dicken Adern und Sehnen an Benjamins Hals, wenn er singt.

Ganz nebenbei arbeiten sich die beiden Filmemacher an einem Porträt von Cabbagetown ab, jenem Viertel von Atlanta, in dem Benjamin schon wohnte, als es noch runtergekommen war. Später wurde Cabbagetown dann zum Hip-Stadtteil der Künstler und Alternativen, und Benjamin zog weg in ein Pflegeheim, das ihm schon immer gefallen hat, weil es Architektur auf dem Dach hat, die aussieht wie eine Geburtstagstorte.

Was diesen Film von anderen des Genres unterscheidet, ist der völlige Verzicht auf fremde Stimmen, die Kapitulation gegenüber der Subjektivität des behandelten Objekts, vor seinem Witz, seiner Schlagfertigkeit, vor seiner Persönlichkeit.

Die Bandmitglieder dürfen kurze Statements über die Band abgeben, aber über Benjamin redet nur Benjamin. Oder über Patti Smith, die Benjamin immer abgöttisch verehrt hat und für die Smoke einmal Vorgruppe machen durfte, und auch erst nach seinem Tod. Das hätte ihm gefallen.

„Ich weiß nicht, was das Tolle am wirklichen Leben sein soll?“, fragt Benjamin. „Auf Droge oder betrunken zu sein, das ist für mich Normalität.“ Was ist Normalität? Schlussendlich steht und fällt diese Sorte Dokfilm mit der porträtierten Person. So gesehen haben Cohen und Sillen Glück gehabt. Die Trauer bleibt dieselbe. Ihre Leistung, so soll es wohl sein, ist es, diese Trauer in Bilder gefasst zu haben. Ohne jemals Würde verletzt zu haben. Dafür muss man sie loben. Vielleicht ist dieser Film nur ein Grabstein, aber so einen hätte man selbst gern. Es ist viel mehr, als man erwarten darf.

Thomas Winkler

„Benjamin Smoke“. Regie und Kamera: Jem Cohen, Peter Sillen. USA 68 Min; 18. 2., 22.45 Uhr, Cinestar 5, 19. 2., 22.30 Uhr, Arsenal