„Wie eine Hundedressur“

Soll man explizite Bilder aus der Sexbranche zeigen? Ja, meint José Javier Reyes, dessen Spielfilm „Toro“ im Panorama läuft

Im Mittelpunkt von José Javier Reyes’ „Toro“ steht eine Gruppe von Prostituierten, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Live-Sex-Performances (Toros) bestreiten. Sie bewegen sich durch ein Manila, das aus engen, in grün-gelbes Licht getauchten Räumen besteht, und haben keine Aussicht, etwas an ihren miserablen Lebensbedingungen zu ändern. Reyes scheut vor drastischen Bildern nicht zurück; zugleich zeigt er mit großer Klarsicht, wie sehr Prostitution in den Alltag und die Mikroökonomie Manilas integriert ist.

taz : In Filmen über Prostitution und Sexindustrie sind Opfergeschichten an der Tagesordnung. „Toro“ hinterlässt einen etwas anderen Eindruck.

José Javier Reyes: „Toro“ ist anders, weil niemand Rolly, den Erzähler-Protagonisten, zur Prostitution bzw. zu den Live-Sex-Performances gezwungen hat. Für ihn ist das eine Familientradition, etwas, wo man hineinrutscht, ein Teufelskreis. Ich wollte diese Resignation zeigen, diese Ergebenheit gegenüber dem Schicksal.

Andererseits wird Rolly nicht müde zu betonen, er habe einen Job wie jeder andere.

Das ist richtig. Er sagt, seine Arbeit sei in Ordnung, besser, als zum Dieb zu werden, und doch merkt er am Ende, dass er nirgendwo hingelangt. Hinter den starken, emotionslosen Fassaden verbergen sich Menschen, die alle Formen der Demütigung durchmachen. Für mich gibt es nichts Erniedrigenderes, als eine so private Handlung aufzuführen, in der Öffentlichkeit, für Geld.

Wie haben Sie für „Toro“ recherchiert?

Ich habe mit einem Paar gesprochen, die waren wie Leichen. Sie bekommen 1.500 Pesos pro Stunde, das sind 40 US-Dollar. Sie treten jede Nacht auf, es ist wie eine Hundedressur, über die reiche Leute lachen können.

Sie stellen die Sex-Performances explizit dar, die Einstellungen dauern je drei, vier Minuten. Warum diese Direktheit?

Weil ich die Zuschauer schockieren wollte. Jeder weiß, dass es diese Shows gibt in Manila. Ich wollte es im Kino zeigen, wo es bigger than life wird. Es geht um den Schockwert, nicht darum, das Publikum zu erregen.

Wurde der Film auf den Philippinen gezeigt?

Nein. Im vergangenen Jahr gab es eine heftige Kontroverse. Der Präsident Estrada ernannte die Filmproduzentin Armida Signion-Reyna zur Chefin des Classification and Ratings Boards. Das führte zu einer gewissen Liberalisierung, doch hoch gestellte Politiker und Ultrarechte lancierten eine Kampagne gegen das Board. Es gelang Estrada, sie zu stoppen. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit der Postproduktion beschäftigt, und es war klar, dass ich den Film nicht zeigen konnte, ohne dass die Ultrarechte ihre Kampagne wieder forcieren würde. Letztes Jahr stand die Filmproduktion auf Grund der angespannten Situation für drei Monate still, und ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass 80.000 Leute arbeitslos werden.

Glauben Sie, dass Sie „Toro“ dort einmal zeigen können?

Ich habe diesen Film für ein phillipinisches Publikum gemacht, und daher bin ich quasi dazu gezwungen, ihn auf den Philippinen zu zeigen. „Toro“ wird noch auf anderen Festivals laufen, was die Fundamentalisten und die Ultrarechte dumm dastehen lässt. Denn über den Film mögen sie behaupten, er sei pornographisch. Aber der Berlinale können sie kaum vorwerfen, ein Pornofestival zu sein. Interview: Cristina Nord„Toro“. Regie: José Javier Reyes. Mit: Paolo Rivero, Anna Capri, Klaudia Koronel. Philippinen. Heute 20 Uhr, CinemaxX 7, 19. 2., 13 Uhr, Cinestar 3