Ganz was Sauberes

Acht Jahre nach „Stau“ hat Thomas Heise wieder in Halle gedreht. „Neustadt Stau“ dokumentiert die rechte Szene heute

Bei einer selbst organisierten Schulung sieht man den rechten Nachwuchs das Kapital erörtern

1992 drehte der ehemalige DEFA-Regisseur Thomas Heise „Stau“, seine Dokumentation über Skinheads und Neonazis in Halle-Neustadt. Mit seinem neuen Filmprojekt hat es sich noch einmal dieser Szene zugewandt. Diesmal ging es ihm jedoch weniger um das Vorführen besonders verhetzter Charaktere als um atmosphärische Streifzüge durch dieses sachsen-anhaltinische Neubauviertel. Seit der Wende gibt es hier eine besonders hohe Arbeitslosigkeit und eine starke Fluktuation der Mieter. Einige der Neonazis der ersten Stunde sind bereits abgeurteilt und „gebessert“ worden – und gehen nun, sauber angezogen, einer regelmäßigen Beschäftigung oder eheähnlichen Beziehungen nach. Einer will gar eine eigene Ostpartei gründen, also ganz was Sauberes auf die Beine stellen.

Es ist aber auch eine neue rechte Szene nachgewachsen. Sie ist bemüht, sich nicht gleich zu schlagen und anschließend zerschlagen zu werden. Thomas Heise filmte die Gruppe bei einer selbst organisierten Schulung: Da sitzen sie alle um den Tisch herum, und ein Mädchen hat das Einführungsreferat übernommen. Es erläutert seinen Kumpeln den Kapitalbegriff.

Diese Szene hat mich beeindruckt. Zum einen erinnerte sie mich an eine große Demo in den Achtzigerjahren, bei der wir eine kleine Neonazi-Demo bedrängten – bis diese schließlich in ihrer Not skandierte: „Mit den Maoisten gegen Imperialisten!“, was wir mit hämischem Gelächter quittierten.

Zum anderen versuchte ich mir vorzustellen, ob eine solch Kapitalschulung heute noch – mit meinen Kreuzberger Genossen etwa – möglich wäre: wohl kaum. Wir können nur noch Kurzfilme drehen oder uns über neue Medien unterhalten. Vielleicht hat sich seit der Wende überhaupt links und rechts mit Ost und West verknäult?

Damit will ich nicht die Feigheit der Ausländer attackierenden Schläger entschuldigen. Aber auch der Antifaschismus – nach 1945 – war bloß noch ein feiger Mut und das Neonazitum heute eher ein standortschädigender Faktor ersten Ranges für Investoren. Mit scheint, dass mehr und mehr Intellektuelle im Osten wie Heise anfangen, sich – anders als etwa Giordano, Duwe und Böhme, von oben herab, faul und feist – mit diesem „Phänomen“ auseinanderzusetzen. Den Anfang machte, glaube ich, Jürgen Kuttner mit einem Volksbühnen-Stück, das die taz-Brandenburgboykott-Leserbriefe von antifaschistischen Westlern, die auf Grundstücksuche in der Mark unterwegs waren, thematisierte. Dann folgte André Meiers Aufbau-Verlag-Roman „Fixies“, der fast schon eine Sympathieerklärung für die Ost-Skinheads enthielt. Neuerdings scheint sich auch der „Telegraph“ aus der Umweltbibliothek in diese Richtung vorzutasten. Ich würde diese merkwürdigen Regungen von scheinbar ähnlichen „Kehrtwendungen“ im Westen – etwa von Bernd Rabehl und Horst Mahler – unterscheiden. Während erstere darauf reagieren, dass sie plötzlich Deutsche zweiter Klasse geworden sind, wittern letztere einen politischen Trend, auf den sie aufsatteln wollen. Helmut Höge

„Neustadt Stau – der Stand der Dinge“. Regie: Thomas Heise; Deutschland 90 Min. Heute 10 Uhr, Cinemaxx 3, 16.30 Uhr, Delphi; 19. 2., 19.30 Uhr Cinestar 8; 20. 2., 14.30 Uhr, Arsenal, 21.15 Uhr, Babylon