Bis wir ganz verbrannt sind

Johann van der Keuken hat überall auf der Welt Filme gedreht. Dann erfuhr er, dass er schwer an Krebs erkrankt ist. „De grote Vakantie“ (Forum) handelt davon, das Leben im Sterben noch einmal zu sehen ■ Von Detlef Kuhlbrodt

1997 hatte Johan van der Keuken, der große poetische Dokumentarist, mit „Amsterdam – Global Village“ ein wunderbar vielschichtiges Porträt seiner Heimatstadt auf dem Internationalen Forum des Jungen Films vorgestellt, dem er verbunden ist wie nur wenige. Neben anderen Episoden enthielt der Film eine der schönsten beiläufigen Passagen über House-Musik, die ich kenne.

„Im Oktober 1998 rief Johann van der Keuken seinen Arzt an der Universitätsklinik in Utrecht von Paris aus an und erfuhr, dass er nur noch wenige Jahre zu leben hätte. Prostatakrebszellen hatten sich in seinem Körper ausgebreitet“, stand im kleinen Forum-Programmheft dieses Jahres und dass der unermüdlich Reisende, der bislang über 50 Filme gedreht hat, nach dieser Nachricht noch einmal durch die Welt geflogen war, sich von ihr zu verabschieden, „eine Chronik seiner ganz persönlichen Weltsicht zu liefern“.

So ging man mit einer gewissen Scheu ins Delphi und dachte dabei an den großen japanischen Film über das Sterben des Dichters Inoue, den das Forum vor sechs Jahren hier gezeigt hatte, und danach hatte man ein paar Tage nichts gesprochen oder sich zumindest so gefühlt. Es war sehr still und das Publikum so aufmerksam konzentriert wie selten.

Van der Keuken war in Bhutan. Minutenlang sieht man das runde Gesicht eines meditierenden buddhistischen Mönches. Seine Konzentration, seinen Atem. Ruhige Kamera, die nie ganz statisch wird, sondern nur fast, denn eine Kamera ist irgendwie auch eine lebendige Maschine. Später hört man van der Keuken – seine so ruhige, kluge Stimme – mit seinem Arzt sprechen im Krankenhaus in Utrecht. Er spricht von seiner Scham, als Todkranker nicht mehr so zu sein wie die anderen. Es geht auch um seine Hormonbehandlung und dass die Sexualität dabei weggeht und dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn man die Prostata schon 1995 entfernt hätte. Man sieht das Gesicht des Arztes, wie er ein bisschen entschuldigend lacht. Der Tod passiert anderen, nicht einem selbst.

Stille Dinge, die dem Filmemacher gehören; alte Fotoapparate; ein Bild von Paul Klee; das Geräusch, wenn zwei Porzellantassen ineinanderstehen und die eine Tasse wackelt eine Weile. Über die nächtliche Autobahn zum Filmfestival nach Rotterdam zu fahren ist auch Glück. Nach Burkina Faso fliegen, ins „Land der unbestechlichen Männer“, um zu sehen, „wie mühsam das Leben ist und mit wie viel Freude es trotzdem gelebt wird“. Männer stellen einzelne Nägel her, der Boden ist unglaublich trocken. Bilder vom Niger, dem Menschenfluss. Ein Film, der auch durch Flüsse strukturiert ist. Minutenlang sagen Kinder, wie sie heißen. Manche lächeln dabei; trotzig, schüchtern: Ich bin das. Ein Mann erzählt vom Kolonialismus: „Wenn man weiß sagt, meint man Zwangsarbeit.“ Schöne schwarze Frauen fahren auf ihren Motorrädern vorbei.

So lange verbrennen wir Dinge in unserem Körper, bis wir ganz verbrannt sind. Nosh van der Lely, die Frau, die den klaren Ton seiner Filme immer gemacht hat, sagt irgendwann, dass wir Menschen im Innern eigentlich leer seien und gleichzeitig nie allein. Immer sind die anderen noch dabei und die Dinge dieser Welt.

Eine tibetische Schamanin lädt ihn noch einmal nach Katmandu ein; sie könne ihn heilen. Die Arbeit der Schamanin: Man sieht sie an seinem Körper saugen. Der Realismus der Buddhisten. Später putzt sie sich die Zähne. Auch das westliche Denken ist nicht frei von der Magie, die es leugnet.

Im körnigen Fernsehbild sieht man Kosovo-Flüchtlinge. Der Leib ist eine Versammlung unendlich vieler Zellen. Im Körper van der Keukens herrscht Aufruhr; es gibt auch Soldaten und Flüchtlinge. Wir sind viele, wir sprechen; wir sagen Worte aus Konvention, die wir nicht begreifen können.

Nur wenn er Bilder machen könne, fühle er sich lebendig, sagt van der Keuken, dem Ressentiment immer fremd war. Später findet der 61-Jährige in Amerika eine Therapie, die zu helfen scheint. Neue Zeit ist ihm geschenkt, und er hat wieder neue Projekte. Das Gespräch zwischen dem Regisseur und Ulrich Gregor war das entspannteste des Festivals.„De grote Vakantie“. Regie: Johan van der Keuken. Niederlande, 145 Min.; heute 11.30 Uhr, Arsenal, 19. 2., 21 Uhr, Babylon