„Ein Regisseur ist wie ein Cocktailmixer“

Die Schauspielerin Marisa Paredes, Berlinale-Jury-Mitglied, über das Geheimnis des Glamours, die Arbeit mit Pedro Almodóvar und das Kino als unendlicher Erzählung

taz: Frau Paredes, was bedeutet für Sie Glamour?

Marisa Paredes: Etwas, das durch den Blick des anderen entsteht. Etwas Unerklärliches, eine Aura, die man nicht absichtlich erzeugen kann. Sie ist einfach da, und manchmal existiert sie nur auf der Leinwand, als ob die Kamera sie erst hervorbringt.

Glamour ist eine andere Dimension der Repräsentation, und wenn man versucht, ihm auf die Spur zu kommen, dann verliert er sich. Glamour braucht immer die Distanz zwischen Betrachter und Betrachtetem.

Sie sind die Lieblingsschauspielerin von Pedro Almodóvar, und es gibt zur Zeit wohl keinen anderen Regisseur, der dieses Gefühl für Glamour hat.

Pedro hat den Instinkt für das Spektakel, für die Inszenierung, für glamouröse Gesten. Das gibt eine solche Sicherheit, ein solches Vertrauen, dass ich bei Almodóvar alles spielen könnte.

Eigentlich ist sein Kino wie ein Grandhotel. Er sitzt an der Rezeption und gibt dir alle Schlüssel. In dem einen Zimmer kannst du fernsehen, im anderen schlafen und im nächsten essen. Damit schafft er als Regisseur die Bedingungen, unter denen man sich schön und sexy fühlen kann. Er weiß um die Wirkung eines Körpers, seiner Formen und Farben in den einzelnen Räumen, deshalb wirken seine Bilder manchmal wie glamouröse Installationen.

Ganz bestimmt hat Glamour auch etwas mit dem Bewusstsein der Repräsentation zu tun, und dieses Bewusstsein haben vor allem jene Figuren, die auch Pedros Lieblingsfiguren sind, nun mal : Schauspielerinnen und Transvestiten.

Sie haben in Almodóvars Filme immer wieder Schauspielerinnen gespielt, zuletzt Huma Rojo in „Alles über meine Mutter“. Da geben Sie eine kleine Hommage an Bette Davis. Und zwar allein durch die Art, wie Sie rauchen.

Oje, ich habe noch nie in meinem Leben so viel geraucht wie während und nach diesem Film. Pedro sagte einfach: „Deine Filmfigur Huma Rojo hat wegen Bette Davis angefangen zu rauchen.“ Und dann war es, als ob Bette Davis in diesem Film hinter mir steht und durch mich hindurch raucht.

Wie haben Sie und Almodóvar sich eigentlich kennen gelernt?

Durch Carmen Maura, die in seinem ersten Film mitgespielt hat. Wir waren zusammen am Teatro Nacionál. Und Carmen hat mir den ganzen Tag erzählt, wie lustig und wie toll es ist, mit Pedros Clique zu drehen und dass ich unbedingt auch mitmachen müsse.

Das war Ende der Siebziger, nach Francos Tod. Damals fing die „Movida“ an, der Underground begann, die neue Freiheit zu spüren und künstlerisch umzusetzen.

Pedro war mittendrin. Er zeigte seinen ersten Kurzfilm auf Super 8, und weil es keinen Ton gab, imitierte er alle Stimmen und die Musik. Das war bei mir Liebe auf den ersten Blick.

Als Jeanne Moreau hier auf der Berlinale den Goldenen Bären für ihr Lebenswerk erhielt, da sprangen Sie bei der Standing Ovation als erste auf.

Ich habe „Bravo“ gerufen. Weil sie in ihrer kleinen Rede alles gesagt hat, was für unseren Beruf bezeichnend ist.

Wir sind die angeleuchtete Oberfläche, aber ohne die im Hintergrund könnten wir auch nicht leuchten. Im Kino braucht man den anderen, um eine Form anzunehmen. Dass sie das an diesem Abend, der ja eigentlich ihr allein gehörte, so betont hat, fand ich sehr sympathisch.

Jeanne Moreau sagt, als Schauspieler müsse man leer sein, um sich von der Rolle bewohnen zu lassen. Ist das auch Ihre Auffassung?

Nicht ganz. Ich glaube nicht, dass wir ganz leer sind. Eher besteht man aus einem Wust von Gefühlen, von denen man viele schon vergessen, verdrängt, begraben hat. Der Regisseur muss diese Dinge in Bewegung bringen, wie ein Barmann, der seine Cocktails gut schüttelt. Dann sieht es sich das Ergebnis an und sagt, was er von dir haben will. Und wenn er gut ist, dann finden sich im Cocktail-Shaker plötzlich Dinge, die du selbst nicht von dir wusstest.

Bei Almodóvar waren das oft auch traurige, verzweifelte Seiten. Sie haben bei ihm immer auch etwas Gebrochenes.

Wenn man verletzliche, zerbrechliche Menschen spielt, Menschen im Schmerz und in der Krise, dann ist das ein wirklicher Akt der Annäherung an den anderen. Die „condition humaine“ ist nun mal etwas eher Trauriges, Gebrochenes. Und es sind diese Rollen, die am ehesten einen Nachhall haben, die bleiben werden.

Hat es für Sie etwas Beruhigendes, zu bleiben?

Es ist ein Privileg. Bette Davis oder Marlene, das ist eine Geschichte, die niemals enden wird. Durch die kurzen Ausschnitte aus „All about Eve“ in „Alles über meine Mutter“ hat meine Tochter gerade Bette Davis entdeckt. Nun schaut sie sich an der Cinemathèque in Madrid all ihre Filme an. Pedro Almodóvars Kino wäre ohne die großen Melodramen, es wäre ohne die großen Diven nicht denkbar.

Dieser Aspekt des Kinos als unendliche Erzählung hat in der Tat etwas Beruhigendes.

Interview: Katja Nicodemus