Geschmäckle ■ Renate Künast und ihr Kleincomputer

Scheinheiligkeit ist eine Tugend, mit der auch Oppositionspolitiker offenbar bestens vertraut sind. Seit mehr als zwei Wochen diskutiert die Stadt über einen Kleincomputer, den Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) auf einem Pressefest des Magazins Focus in Empfang genommen hat. Der bündnisgrüne Abgeordnete Burkhard Müller-Schoenau findet für diesen Vorgang, verbunden mit Strieders Flugaffäre, die markigen Worte „Filz und Korruption“. Sein Fraktionschef Wolfgang Wieland möchte von der Stadtregierung wissen, welche Senatoren denn sonst noch die Focus-Rechenmaschinen eingesteckt haben.

Das klingt schon fast nach „brutalstmöglicher Aufklärung“, und tatsächlich: Nach zweiwöchiger Debatte entsinnt sich Wielands Kollegin Renate Künast plötzlich, dass auch bei ihr noch ein Exemplar desselben Organizers herumliegt. Es mag umstritten sein, ob solch ein Geschenk unter jene „Zuwendungen“ fällt, die Abgeordnete dem Parlamentspräsidenten anzeigen müssen. Doch geht es, wie nicht zuletzt die Grünen gern betonen, in der Debatte um Vergünstigungen für Politiker nicht nur um Paragrafen, sondern vor allem um die politische Moral. Dass ein Senator keine Geschenke annehmen darf, eine nicht minder an politischen Entscheidungen beteiligte Fraktionsvorsitzende aber sehr wohl – das dürfte den WählerInnen nur schwer zu vermitteln sein.

Gewiss, Strieder hat zunächst gelogen. Doch Schweigen kann manchmal das Gleiche sein. Allerdings hat Künast, wenn auch mit Verspätung, immerhin Problembewusstsein demonstriert. Die neuen Verhaltensregeln, die sie nun fordert, mögen sinnvoll sein. Dass dieser Kodex jetzt vor allem dazu dient, Künast selbst aus der moralischen Defensive in die juristische Offensive zu katapultieren, nimmt ihm allerdings ein Stück Lauterkeit. Offenbar sind die Grünen noch immer darüber erstaunt, dass sie als Regierungspartei im Bund unter einer strengen Beobachtung stehen, die ihnen früher als Oppositionspartei nicht zuteil wurde.

Was bleibt, ist genau das, was Künast selbst in der Causa Strieder konstatierte: ein „Geschmäckle“.

Ralph Bollmann