Der Pate, vierter Teil

Man geht eben mal zum Drogendealen runter und taucht im Showgeschäft wieder auf: Jay-Z inszeniert HipHop als Drama einer männerbündischen Welt ■ Von Markus Schneider

Kopfnüsse, die das Leben verteilt, formen den zentralen Mythos der Erzählungen des Rappers Jay-Z. „Hard Knock Life“ war der Titel, vor dem es im letzten Jahr kein Entrinnen gab, jeder hatte den Chor der Waisen, den Jay-Z aus dem Musical „Annie“ gesampelt hat, im Ohr. „Ghetto Anthem“, Ghettohymne, hieß der Überfliegertrack selbstbewusst im Untertitel, und eindringlich beschwören die Kinderstimmen ihre Prägung durch die schattige Seite der Straße. „In My Life Time. Vol. II: Hard Knock Life“ nannte sich das dazugehörige Album, mit dem ein wieder erstarkter Gangster-Rap scheinbar in seine manieristische Phase trat – gut zehn Jahre nachdem der Westküstler Ice-T dem Genre mit „Rhyme Pays“ einen frühen Meilenstein gesetzt hatte.

Jay-Zs Welt heißt Marcy Projects und liegt in Brooklyn. Früher wäre sie eine Gangsterwelt gewesen, heute ist sie Schauplatz von Reality-Rap. Ihren Erzähler hat sie zum „Eight Figga Nigga“, zu einem Mann mit achtstelligem Bankkonto gemacht. Und natürlich ist sie auch mit Echtheitszertifikat fiktional, wie ihr zum Mythologem gewordener Hauptdarsteller: der Hardcore-Künstler aus dem Ghetto, der Rapper gewordene Gauner, Zuhälter, Dealer – Hustler eben. Seine Texte sind, sagt Jay-Z, meist autobiografisch, triviale Geschichten von einer männerbündischen Welt aus Mafiastrukturen und Gang-Verflechtungen, deren pathetischer Code die sozialen Beziehungen regelt. Jay-Zs Ding ist das Drama, er baut auf formale Könnerschaft und kathartische Prozesse. Als Shawn Carter nämlich hat Jay-Z das „life“, das so genannte, selbst gelebt. Ist aus der Sozialwohnung zum Drogendealen runter auf die Straße und von da gradewegs in die Höhen des Showgeschäfts. Gerade erschienen: sein viertes Album, letzter Teil seiner autobiografischen Trilogie.

Cool schaut er aus, wie er da so 29-jährig im Sofa hängt, hoch oben im Londoner City-Hotel, an einem sonnigen Samstagnachmittag. Hört zu, aufmerksam, spricht überlegt und eindringlich. Den schwarzen Do-Rag, den Frisurschoner, um den Kopf, die gewohnten taschigen Jeans, das T-Shirt in Schwarz, sie stehen ihm gut. Kommt überhaupt ganz gut daher, schlaksig, lang und lässig. „The last of the real hustlers“, wie er sich auf dem lezten Album nennt; und dazu lässt er im Hintergrund ein Herz drohend bumpern.

Auch im dritten Teil geht es um die ganze Reality-Wirklichkeit, Gewalt und Drogen, Sex und Geld, Gucci und Geschmeide. Zum Teil noch düsterer, aber ähnlich humorfrei wie auf dem Vorgänger. Gangster-Barock. Kein Scherz. „Ja, es ist wie beim ,Paten‘. Den dritten Teil haben alle nicht so recht verstanden, weil er weniger gewalttätig schien. Aber der Geist dahinter war der gleiche. Für mich ist das auch die Verbindung aller drei Teile. Hinter meiner Trilogie stehen die Ästhetik des Street Life und die Ästhetik des Hustling.“

Jay-Z scheut keine populären Samples, fährt große Namen wie Mariah Carey oder Missy Elliott auf und setzt auf einen flüssigen, zurückgenommenen Stil, auf Understatement. Trotzdem kickt und knackt es immer wieder sehr originell. Selbstbewusst spricht er seine Perspektive in den Mainstream. Innerhalb der musikalischen Genregrenzen – schroffe Samples, karge Bässe, finstere Melodik, Hysterie – setzt Jay-Z auf Abwechslung. Bekannten und bewährten Kräften trotzt er neue Bewegungen ab, setzt sie zumindest gut in Szene. Gang-Starr-Legende Premier ist dabei und der dieses Jahr ubiquitäre Produzent Timbaland. Den erkennt man auf „Come And Get Me“ gar nicht wieder, mit seiner komischen Gitarre im Sample. Im Dirnendrama „Is That Yo Bitch“ mit Missy Elliot kriegt er seinen bewährten Beat noch ein bisschen gedimmt, sodass es eindrucksvoll im Dunkeln zuckt. Zwar finden sich auch bei Jay-Z die mittlerweile ritualisierten und in schicksalschwangerer Unausweichlichkeit fixierten Textformeln – die Reime zahlen sich schließlich aus, da muss man nicht immer alles runderneuern –, aber unbestritten sind mittlerweile seine Qualitäten, wenn es um die Fertigkeiten als Rapper geht.

Das war nicht immer so. Nach seinem viel gelobten Debüt „Reasonable Doubt“ landete er mit seiner zweiten Platte unsanft auf dem Bauch. Ganz zu Recht, meint er. Zur beruflichen Krise kamen noch die HipHop-Toten, Tupac und Christopher „Notorious BIG“ Wallace, ein enger Freund. Dass die Morde direkt mit HipHop und, spezifischer, mit der gewaltsatten Art zu tun hätten, hält er allerdings für Unsinn. Man kann die Leute aus dem Ghetto holen, aber nicht das Ghetto aus den Leuten. Auch im Erfolg nimmt man eben seine Vergangenheit mit, die Konflikte, die Erfolge, die Niederlagen. „Das hat doch einfach mit der Welt zu tun, aus der viele Rapper kommen und über die sie dann rappen.“

In diesem Sinne sollen wir auch den demonstrativen Konsum verstehen, dem auf den Covers und in den Texten gefrönt wird, die Markennamen, den Schmuck und die teuren Limousinen. Das ist nicht einfach Protzerei und mehr als die Gleichsetzung von Geld und Glück. Das grelle Neureichsein ist auch die symbolische Rache an einer Gesellschaft, die Figuren wie Shawn Carter von vornherein abgeschrieben hat. So werden die Erfolgsinsignien des Musik-Hustlers dem Feind ins Gesicht gehalten, ganz locker, aber deutlich. Ein bisschen Neid kann hilfreich sein. Im Ganzen ist Jay-Z wohl wie seine Musik. Zurückhaltend, ruhig, gut aussehend. Manchmal etwas langweilig. Aber nicht uncool.

Würde er in der Nachbarschaft wohnen, man würde sich arglos eine falsche Rolex von ihm aufbinden lassen. Wer jung genug ist und die glänzenden Oberflächen zu schätzen weiß, wird ihm wohl auch die Musik abkaufen. Und auch das geht schon in Ordnung.