„Die Franzosen schützen uns nicht“

Für die Albaner in Kosovska Mitrovica ist es ausgemachte Sache, dass die französischen Soldaten der KFOR auf der Seite der Serben stehen. Die jüngsten Auseinandersetzungen spalten auch die Friedenstruppe ■ Aus Mitrovica Erich Rathfelder

Schon bei der Einfahrt nach Kosovska Mitrovica ist Spannung spürbar. Bewaffnete Soldaten der KFOR haben Kontrollpunkte errichtet und durchsuchen alle Autos. Französische und griechische Panzer rasseln durch die Straßen der von rund 60.000 Menschen bewohnten Industriestadt, die vom Rauch der Hüttenwerke grau gefärbt ist. Soldaten haben Positionen auf Dächern und an Kreuzungen bezogen, die beiden Brücken, die über den Ibar-Fluß führen, sind von britischen und deutschen Truppen abgeriegelt.

Es herrscht wieder Krieg im Kosovo. Seit dem 3. Februar ist in der zwischen Serben und Albanern umstrittenen Stadt mehrmals scharf geschossen worden. Mehr als 1.000 Albaner wurden aus dem Nordteil vertrieben. Und das unter den Augen der KFOR-Truppen.

Serben und Albaner sehen sich jeweils als Opfer der anderen Seite. Die im Südteil lebenden Serben wurden schon vor Monaten von Albanern in den Nordteil vertrieben, Tausende von Albanern von Serben in den Süden. Nach dem Einsickern von Paramilitärs aus Serbien versuchen jetzt serbische bewaffnete Kräfte, den Nordteil der ursprünglich von 53.000 Albanern, 8.000 Serben und rund 3.000 Bosniaken, Türken und Roma bewohnten Stadt vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie wünschen die Teilung des Kosovo, die sich nördlich anschließenden Gebiete sollen mit Serbien verbunden werden. Genau dies aber wollen die Albaner verhindern.

Bis dieser Streit entschieden wird, genügt ein kleiner Funke, um einen Brand auszulösen. Als am 2. Februar ein mit Serben besetzter Bus des UNHCR in der Region Drenica von Albanern mit einer Granate beschossen wurde und zwei Menschen starben, kam es tags darauf zur Revanche. Am Abend des 3. Februar wurde ein türkisches Ehepaar von Serben ermordet. Wenig später erschütterte eine Explosion das Café „Bel Ami“, das an der Grenze der serbisch kontrollierten Gebiete zu der so genannten Bosanska Mahala (Bosnischer Stadtteil) liegt. Mehr als ein Dutzend Serben wurden verwundet, eine Albanerin starb. Sofort zogen 500 bewaffnete Serben los, um alle Albaner aus ihrem Stadtteil zu vertreiben. Sie drangen in Wohnungen ein, raubten, töteten, neun Menschen starben. Lediglich in der Bosanska Mahala konnte sich die Bevölkerung aus Albanern, Bosniaken, Türken und auch einigen Romafamilien halten, knapp 1.000 Menschen.

Die unter französischem Befehl stehenden KFOR-Truppen sahen dem Treiben fast tatenlos zu. „Die Franzosen schützen uns nicht“, erklären Albaner. Sie begannen, sich auf die nächsten Übergriffe vorzubereiten. Ehemalige UÇK-Soldaten seien in die Mahala eingesickert, um die dort verbliebenen Albaner und Bosniaken zu verteidigen, sagen unterschiedliche Quellen aller Seiten. Als am letzten Sonntag, am 13. Februar, die Bosanska Mahala erneut von serbischer Seite angegriffen wurde, schossen einige Albaner zurück. Um 10 Uhr wurden zwei französische KFOR-Soldaten von Schüssen aus der Mahala getroffen. Die Franzosen reagierten mit Härte: Ihre Kanonen richteten sich auf die Mahala, mit den Serben beschossen sie das Viertel bis zum späten Nachmittag. Der 37-jährige Avni Hajridinaj wurde in der Nähe der östlichen Brücke erschossen, sieben Personen verletzt.

Die französischen KFOR-Truppen waren in einen offenen Konflikt mit der kosovo-albanischen Bevölkerung geraten. Und sind es noch. An der Stelle jenseits der östlichen Brücke, wo die beiden Franzosen angeschossen wurden, wachen weiter französische Soldaten. Sie riegeln das albanische Viertel hermetisch ab. In den Häusern sind die Einschläge zu erkennen. Die Bewohner der Bosanska Mahala sind erbost. Nach dem Angriff seien die Franzosen in das Viertel eingedrungen, hätten die Wohnungen und Häuser durchsucht. Frauen und Kinder mussten stundenlang mit erhobenen Händen stehen, 37 Männer im Alter von 17 bis 65 Jahren wurden verhaftet, berichtet der 68-jährige Mustafa Vraneshi. Die restliche Bevölkerung wurde in zwei Häusern über zwei Tage festgehalten.

Die Spuren der Hausdurchsuchungen sind überall zu sehen: eingeschlagene Fenster, zerstörte Einrichtungen. Zwei Tage lang durchsuchten die Franzosen die Häuser. Und fanden nach Angaben der Albaner nichts. Ihre Aussage wird gestützt durch die Tatsache, dass die KFOR bisher keine beschlagnahmte Waffe präsentieren konnte oder wollte. Die meisten der verhafteten Männer werden weiter verhört, elf weitere Albaner sind inzwischen verhaftet worden.

Auch bei der Version der Franzosen, der getötete Albaner sei ein Scharfschütze gewesen, sind Zweifel angebracht. Mustafa Vraneshi befand sich zur Tatzeit in der Nähe der östlichen Brücke, von wo aus die Schüsse auf die Franzosen nicht kommen konnten. Allerdings versuchten von dort aus Albaner, ihren Landsleuten zur Hilfe zu kommen. Eine Waffe wurde bei dem Getöteten nicht gefunden.

Seit seinem Begräbnis fordern die Albaner den Abzug der französischen Truppen aus der Stadt. Indem Franzosen und Serben die Mahala beschossen, wurde ihr Vorurteil, die Franzosen stünden auf der Seite der Serben, bestätigt. „Briten, Amerikaner und Deutsche sollen hier bleiben, Franzosen und die mit Serbien sympathisierenden Griechen sollen gehen“, sagen alle Befragten.

Auf der serbischen Seite sind die Sympathien umgekehrt. Der Konflikt bleibt nicht ohne Wirkung auf die KFOR. Der Unmut über die Aktion der Franzosen ist bei den Soldaten der meisten anderen Nationen zu spüren. Dass das französische Kommando im Sektor Nord dazu übergegangen ist, lediglich Franzosen, Belgier und Griechen in den Nordteil der Stadt und in die von Serben kontrollierten Gebiete zu schicken, ruft Kritik hervor. Mehr noch der Umstand, dass das französische Kommando nicht ausreichend gegen bewaffnete Serben vorgeht. Indem Briten, Holländer, Deutsche, Marokkaner, Österreicher, Soldaten der Vereinigten Emirate sowie Dänen auf der albanischen Seite bleiben sollen, wird die KFOR nach politischen Kriterien gespalten. Und damit nach Ansicht vieler eine Lösung erschwert.