Ein antiautoritärer Autokrat

Die DVU zu marginalisieren fiel leicht; auch die französischen Rechtsextremen der Front National haben ihren politischen Zenit längst überschritten. Aber warum fällt die öffentliche, liberale wie sozialdemokratische Kritik an Jörg Haider so schwer? Mehr noch: Weshalb zerschellt am eloquenten Parteiführer der FPÖ jedes gängige Argument gegen das Nationalsozialistische? Was ist überhaupt das neue Rechte an der Politik Haiders? Ein Essay von Ulrich Bielefeld

Wir sollen uns schon entrüsten über die FPÖ. Aber ein billiger Erfolg gegen Haider und die Seinen ist nicht zu haben. Da kommt dieser smarte Spitzbube einer postmodernen Rechten in die Talkshow und punktet – weil man schlecht vorbereitet ist und zu wissen glaubt, wie man es ihm zeigen kann: Den stecken wir allemal noch in den Sack.

Irrtum: Dem Moderator sitzt einer gegenüber, der vorbereitet ist und fast immer hinterlistig. Manchmal nimmt er es scheinbar genau, um seine Verdrehereien umso unverdrossener vorstellen zu können. Der „Begriff“ der österreichischen Nation sei eine „Missgeburt“, da er von den Kommunisten stamme. Keiner antwortet ihm. Aber man könnte schon, da er nur zum Teil Recht hat und die Wahrheit in den Lügen steckt. Der ambivalente Selbstbestimmungsbegriff der Nation war auch ein linker Begriff. Das Wort von der „Missgeburt“ aber bezieht sich, neben seinem biologistischen Charakter, bei Haider auf den emanzipativen Anteil, den er diskreditieren will. Erhalten bleibt so nur der (volks-)gemeinschaftliche Teil.

Trotzdem fallen in Sachen Haider immer die falschen Vergleiche ein. Er ist kein Nationalsozialist, und er unterläuft noch die Art der neuen Rechten, wie sie in Frankreich mit Le Pen so erfolgreich war. Bildhaft gesprochen: Haider ist internetfähig. Dies nicht in dem Sinne, wie die faschistische Rechte das Netz nutzt, um alte Inhalte an den Mann und die Frau zu bringen. Er stellt nicht einfach nur etwas ins Netz, er ist vielmehr netzwerkadäquat. Er weiß, dass die Produktion von Sicherheit in einem Raum, in dem alles passieren zu können scheint, nicht mehr durch Wissen geschieht. Das braucht man zwar, aber es führt nicht zum Erfolg. Er bietet sich als Hüter des Netzes – hier: der Nation – an, in dem das Spiel unverdrossen weiterläuft. Deshalb ist es eine Qualität, von sich zu behaupten, die Wähler und Mitglieder nicht belogen zu haben, gerade weil man ständig zurechtrückt, halb revidiert und doch wiederholt.

Hat die neue Rechte in Frankreich einerseits versucht, intellektuell hoffähig zu werden und andererseits den Diskurs der Andeutungen und des augenklimpernden Einverständnisses zu etablieren, musste sie in ihrer parteiförmigen Organisation doch aus innerer Überzeugung und aus parteistrategischem Interesse immer wieder nachweisen, dass sie ihren kriegerischen Namen der Front zu Recht trägt. Da musste schon mal zugeschlagen und mit Gewalt vor allem gegen Migranten zumindest öffentlich gedroht werden.

Haider aber ist nicht nur nicht Hitler, sondern auch nicht Le Pen. Wir haben eine weitere Formwandlung der Rechten zu konstatieren. Jahrgang 1950, gehört er zu einer Kohorte, deren Mitglieder nach 1968 zum Teil den letzten Demos hinterhergelaufen sind, die selbst aber nicht viel mehr machen durften oder konnten als sich im Nachhinein zu Anhängern zu erklären, die sich dann zum Teil selbst aufs Volk bezogen, also die grass-roots entdeckten. Sie redeten einer Kirchturmpolitik das Wort, kauften sich einen Bauernhof auf dem Lande, durften mal am Küchentisch der Nachbarn oder auf dem Traktor des Bauern sitzen, entdeckten die so genannten einfachen Leute und demonstrierten gegen die Atompolitik.

Ob Haider ein Akteur dieser Szene war, ist nicht von Bedeutung. Er ist dennoch an die doppelte biografische Zwischenlage gebunden (aus der man sich immer raus definieren kann). Denn die ersten Jahrgänge nach 1950 sind durch schlichte Nähe auch an die Zeit vor 1945 gebunden. Obwohl Kinder der neuen Ordnung Europas, Produkt vor allem der Nachkriegsgeschichte und im Habitus weit von den Älteren entfernt, kann Haider dieser auch deshalb nicht ausweichen.

Frey und seine DVU in Deutschland und, wenn auch anders gelagert, der Algerienkämpfer Le Pen in Frankreich sind im Gegensatz zu den neuen Rechten noch zu unmittelbar an die erste Hälfte des Jahrhunderts gebunden. „Gewalt“ gehörte ihnen zum Zukunftsprogramm. Wie geschickt Le Pen, im Gegensatz zu Frey, mit den Medien auch umging, er gehört noch zur „Gramsci-Rechten“, die kulturelle Hegemonie erreichen wollten.Haider und die FPÖ wurden immer wieder mit der Front National verglichen. Es lässt sich aber ein Unterschied beobachten. Le Pen ist viel zu martialisch, marschiert zur Musik des Gefangenenchors aus „Nabucco“, die alten Kämpfer Fahnen schwingend hinter ihm, zur Bühne, um eine Rede im Stil alter Radioansprachen – schreiend, kochend, drohend – zu halten. Haider hat sich im Ton und Inhalt immer wieder vergriffen, sich aber den neuen Medien angepasst.

Besser: Er musste dies gar nicht allzu sehr. Die Struktur dieser neuen Medien ist anarchisch. Es wird gespielt, ohne die Regeln des Spiels zu kennen und, sollten sich doch welche zeigen, sie dann zu ändern. Daher kann man Züge, die man eben noch ausgeführt hat, im nächsten Augenblick widerrufen und kein Problem damit haben. Ebenso lassen sich Texte und Aussagen ändern wie Adressen. Man kann für Toleranz und gegen Rassismus etwas unterschreiben, da man morgen erläutern kann, was das ist, und übermorgen diese Erläuterung verändern. Man kann gleichzeitig die Chance nutzen, sich in dieser Welt so zu bewegen, dass man sich selbst als jemanden, der darauf aufpasst, dass alles richtig läuft, präsentiert. Das Gefühl von Sicherheit wird auf diese Weise vermittelt, nicht Sicherheit selbst.

Haider ist weder ein „Zwangsdemokrat“, wie Ralph Giordano behauptet, noch ein charismatischer Führer. Er ist ein antiautoritärer Autokrat, der gar nicht viel ändern will. Er sagt stets, schon da zu sein, er habe alles im Griff und schmeiße die Falschspieler raus. Diese sind aber nicht eindeutig auszumachen. Hier kommt einer der traditionellen europäischen Rechten zum Vorschein, einer Rechten, die weiterhin, und das ist ein die Situation verschärfendes Problem, zur europäischen Kultur gehört. Ohne zu ändern, zu verändern, soll Ordnung als Beruhigung (und nicht: als Ruhe) einkehren.

Deshalb geht es gegen die Ausländer und Fremden und gegen manche Künstler. Haider vertritt eine postmoderne Rechte, die moderat auftreten und in der Sache hart bleiben will. Nur dass sie immer wieder sagt, sie wisse gar nicht so genau, was Sache sei, und dennoch immer wieder die gleiche Karte ausspielt: Es war nicht so gemeint, morgen versuchen wir’s noch mal. Hegemonie wollen sie dabei gar nicht, Gewöhnung reicht.

Die Konflikte mit ihr ergeben sich nicht auf der Ebene der allgemeinen Werte, sie spielen sich darunter ab. Selbst heftigste Auseinandersetzungen laufen innerhalb des Systems ab. Es kommt daher auf die Regeln, die Interpretationen und die Ausführungen an, und hier werden die Konflikte stattfinden.

Zu ihrer Beurteilung und zur Klärung der Frage, wo man sie führen sollte, kann es hilfreich sein, Unterscheidungen zwischen vier Ebenen der Fremdenfeindlichkeit einzuführen. Die alltägliche Fremdenfeindlichkeit kann durch eine weltanschauliche ergänzt werden, die schließlich „wissenschaftliche“ Formen annehmen kann. Beide müssen nicht im Zusammenhang stehen, können dies aber. Politische Fremdenfeindlichkeit kann zudem beide Formen ausnutzen. Sie dient Partei- oder auch persönlichen Interessen und hat dann keine andere Ursache als eben diese Interessen selbst.

Sie benutzt allerdings weltanschauliche und alltägliche Momente, um sich zu legitimieren und Zustimmung zu finden. Deshalb – und nicht weil man überzeugt ist – kann man sich immer wieder so leicht distanzieren. Schließlich kann die Phobie institutionalisiert werden. Diese letzte Ebene ist es vor allem, auf die von außen – oder auch: innereuropäisch – reagiert werden kann. Auf konkrete Diskriminierungs- und Segregationspolitiken, die zur normalen Funktionsweise des politischen Systems zu werden drohen und deren extreme Ausprägung Internierung, Ausweisung und Deportation sind, sollte eine klare Einmischung erfolgen, die nie nur mit Verantwortung, sondern immer auch mit Macht zu tun hat.

Eine Dynamik zwischen diesen Ebenen ist dabei zu beachten: Die Institutionalisierung der Phobie kann von unten als Gelegenheit gelesen werden, nun etwas zu dürfen, was zuvor nicht so leicht möglich war. Noch bevor es zu konkreten Maßnahmen, diskriminatorischem Verwaltungshandeln und entsprechender Gesetzgebung kommt, kann es auf der Alltagsebene zur Vorwegnahme des nun Ermöglichten kommen, da es als legitim, zumindest aber als geduldet angesehen werden kann. Auf dieser Möglichkeit, diesem unausgesprochenen Bündnis basiert der Erfolg auch dieser neuen, postmodernen Rechten.

In diesem Fall muss europäische Politik auf die Anwendung von Recht drängen, zum Beispiel Körperverletzung als Körperverletzung zu behandeln. Der Konflikt ist ein europäischer im wahrsten Sinne: weil Haider als Typus zu Europa gehört. Das schwächt ihn nicht ab, sondern wird ihn erst besonders virulent machen. Er sollte politisch auf der Ebene geführt werden, wo er zu führen ist.

Dadurch, dass zum Prinzip der nationalstaatlichen Souveränität das der Verantwortung hinzugetreten ist, ist man nicht enthoben, die Letztere zu definieren. Eine beliebige Form allgemeinster Kritik kann dabei so verantwortungslos sein wie die Normalisierung. Die gerade beendete Menschenjagd im südspanischen Almería mag als ein Beispiel dienen. Der europäische Staatenbund hätte hier aus Verantwortung unmittelbar zu reagieren und aktuell zu prüfen, warum es keinen polizeilichen Schutz gab, warum bestehendes Recht nicht angewandt wurde und welche politische Verantwortung die lokalen Haiders vor Ort tragen. Eine europäische Untersuchungskommission müsste die lokalen Diskriminierungspolitiken untersuchen und antidiskriminatorische Maßnahmen verlangen. Zu diskutieren ist auch, wegen welcher Verstöße gegen welche Normen man an welchen Orten wie eingreifen will und kann. Intervention kann wünschenswert sein.

Das Prinzip der Souveränität entstand am Ende des 16. Jahrhunderts, um die blutige Einmischung „fremder Nationen“ zu unterbinden. Diese Medizin hat sich als alleiniges, geheiligtes Prinzip, als Überdosis zum Gift entwickelt. Die Mischung der Medizinen werden wir noch finden müssen.

Ulrich Bielefeld, Jahrgang 1951, leitet am Hamburger Institut für Sozialforschung den Arbeitsbereich „Nation, Ethnizität und Fremdenfeindlichkeit“