Menschliche Beweismittel

Für Opfer von Straftaten ist die Aussage vor Gericht oft eine große Belastung. Zeugenbetreuung soll helfen  ■ Von Elke Spanner und Silke Langhoff

Abschätzende Blicke. Fragen, die Misstrauen erkennen lassen. Das Gefühl, nicht vernommen, sondern auseinandergenommen zu werden. Mehr als die Hälfte aller Opfer von Straftaten, fand das Freiburger Max-Planck-Institut heraus, geht es nach ihrer Zeugenaussage vor Gericht schlechter als zuvor. Angetreten mit dem Wunsch, einen Täter zur Verantwortung zu ziehen, fühlen viele sich anschließend selbst als unglaubwürdig oder mitverantwortlich stigmatisiert.

Ein Umdenken hat eingesetzt. Galten ZeugInnen bislang bei Strafprozessen lediglich als „Beweismittel“, das heißt als Hilfen bei der Überführung Krimineller, werden sie zunehmend als schutzwürdig anerkannt. Nicht nur, weil ihre persönliche Betroffenheit berücksichtigt werden soll. Die Justiz hat auch erkannt, dass sie selbst vom einfühlsameren Umgang mit ZeugInnen profitiert: Denn die Konfrontation mit dem Täter, die Angst, Fehler zu machen oder in der Glaubwürdigkeit angezweifelt zu werden, schüchtert viele Menschen vor Gericht ein. Die Erinnerung versagt. ZeugInnen sind deshalb „das häufigste Beweismittel – aber auch das schlechteste“, bilanzierte der Direktor des Amtsgerichtes Altona, Jochen Cassel, jüngst. In Hamburg und Schleswig-Holstein wurden deshalb in den vergangenen Jahren Programme zum Schutz derer entwickelt, die vor Gericht aussagen müssen.

Unterschieden wird zwischen ZeugInnen, die eine Tat nur beobachtet oder am Rande mitbekommen haben, und solchen, die selbst Opfer geworden sind. Wer persönlich nicht von der Verhandlung betroffen ist, will im Vorfeld womöglich nur wissen, wie der Prozess abläuft, welche Fragen man zwingend beantworten muss, und wo es anschließend Entschädigung für Verdienstausfall und Fahrtkosten gibt. Wer selbst ein Verbrechen erlebt hat, braucht allerdings häufig auch die Vorbereitung auf die Konfrontation mit dem möglichen Täter.

In Hamburg wurden Zeugenbetreuungszimmer eingerichtet. Seit 1994 gibt es einen solchen Raum bei den Gerichten am Sievekingplatz, mittlerweile einen weiteren in Altona, Harburg und beim Familiengericht. Dort sind SozialpädagogInnen ansprechbar für Menschen, die eine Vorladung bekommen haben. Die PädagogInnen seien „gut ausgelastet“, sagt Praktikantin Annette Fickus. Rund 570 Menschen hätten die Hilfe im vorigen Jahr in Anspruch genommen, 43 seien es allein im Januar 2000 gewesen. Rund 60 Prozent seien Frauen gewesen, bei den 40 Prozent Männern seien es zumeist Jugendliche, die Rat suchen.

Vor allem die Angst vor der Rache des Angeklagten, wenn er durch eine Aussage belastet wird, sei für viele ein Problem. Die SozialpädagogInnen versuchen, in Gesprächen die Angst zu nehmen; manchmal zeigen sie schon vor der Verhandlung den Gerichtssaal, begleiten die ZeugInnen zum Prozess und anschließend nach Hause.

Während sich in Hamburg alle Zeugen an die Zeugenbetreuungszimmer wenden können, bieten die Gerichte in Schleswig-Holstein zwar Rat, aber nur indirekt Betreuung. Wer in Lübeck, Kiel oder Flensburg Fragen zum Ablauf eines Prozesses hat, kann diese RechtsreferendarInnen telefonisch oder persönlich stellen. ZeugInnen jedoch, die Opfer geworden sind und psychologische Betreuung brauchen, stellen die Gerichte freie Träger zur Seite, sagt der Sprecher des Justizministeriums, Christian Frank. Insbesondere Frauen und Kinder, die Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt wurden, erhalten die Adressen etwa vom Kinderschutzbund oder vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen. In Lübeck hatte das Landgericht zwar bis 1996 ein eigenes Zeugenbetreuungsprogramm angeboten. Mit dem Auslaufen der dafür bewilligten ABM-Stellen endete aber auch die Zeugenbetreuung bei Gericht.

Ein besonderes Programm wurde in Hamburg im vergangenen Juni für die Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution gestartet. Viele migrierte Prostituierte leben illegal in Deutschland – und gelten damit selbst strafrechtlich als Verdächtige. Um sie dennoch zu Aussagen zu bewegen, wurde „KOOFRA“ ins Leben gerufen. Nach ihrer Festnahme haben die Frauen vier Wochen Bedenkzeit, ob sie gegen ihre Zuhälter aussagen wollen. In dieser Zeit werden sie von „KOOFRA“ sicher untergebracht, psychosozial betreut, finanziert und zu Ämtern begleitet.

Dieses ZeugInnenschutzprogramm dient allerdings mehr dem Überführen der Zuhälter als der langfristigen Hilfe für die Frauen. Haben diese ihre Aussage zu Protokoll gegeben, endet das Programm. Mit der Ausreise ins Herkunftsland.