Das Leben tut weh, immer noch

■ Neue Filme aus Polen erzählen von Verzweiflung, gestern und heute: „Wojaczek“ (im Forum) von Lech Majewski über das kurze Leben des Schriftstellers Rafal Wojaczek, „Dlug“ (im Panorama) von Krysztof Krauze über Schuld und Sühne im neuen polnischen Kapitalismus

„Life hurts“ steht auf dem Filmplakat, was man wohl mit „Das Leben tut weh“ übersetzen müsste. Der Spruch etikettiert das bitter-melancholische Gesicht eines zornigen jungen Dichters, genauer gesagt des Schauspielers, der ihn verkörpert, und das Ganze ist natürlich schwarzweiß. Zwar stimmt das Plakat einerseits ganz richtig auf den Film ein – weiß man doch gleich, dass es sich bei diesem Dichter um eine tragische Gestalt mit Kultcharakter handeln muss – andererseits aber führt es auch ein wenig in die Irre, denn keineswegs hat Wojaczek (so der Name des polnischen Poeten, um den es hier geht) auf englisch gedichtet. Was irgendwie schade ist.

Der Film ist in dieser Hinsicht ein echter Trost, denn es gelingt ihm, ein Gefühl für den Charakter, sozusagen für die Farbe, den Geschmack, den Rhythmus der Poesie des Rafal Wojaczek zu vermitteln. Und das Schöne ist, dass es für diese Art von Sinneseindrücken keine Sprachbarrieren gibt. Der Satz vom Leben, das weh tut, bekommt hier ganz neue Bedeutung. Es sind nicht die emotionalen Krisen eines Dichtergenies, die uns vorgeführt werden, wie überhaupt Lech Majewskis Film sich nicht mit Innerlichkeit beschäftigt. Was wir sehen, ist eine Haltung: eine Form schwärzerster Verzweiflung ohne Selbstmitleid.

Gleich zu Beginn bricht der junge Poet durch die Fensterfront einer Kneipe auf die Straße. Gen Ende stürzt er sich aus dem Fenster einer Wohnung im dritten Stock. „Ich hatte es eilig“, gibt er als Erklärung an. Ansonsten sehen wir ihn meistens allein oder mit Freunden Alkohol zu sich nehmen, die Gläser mit ritueller Inbrunst zum Munde führend. Die Stadt, durch die er sich bewegt, ist düster und heruntergekommen. Am Schluss erfahren wir, dass Wojaczek sich 1971 im Alter von 26 Jahren das Leben genommen hat.

In einer Zeit, in der er ständig Angst gehabt habe, sei Wojaczek vollkommen ohne Furcht gewesen, erzählt Regisseur Majewski, und tatsächlich fasziniert an seiner Filmfigur diese Kombination von Todessehnsucht und völliger Angstlosigkeit. Was natürlich ein Mythos ist, denn „Wojaczek“ ist kein biopic. Auf die Frage, was denn nun wahr sei an dem geschilderten Dichterleben, antwortete Majewski, er habe sich mit seinem Film nicht auf biografische Daten, sondern auf die vom Dichter selbst geschaffene Mythologie bezogen. Worin eine Art tiefer Respekt vor dem Werk zum Ausdruck kommt, den man nach Anschauen dieses Films gerne teilt.

Zeigt „Wojaczek“ eine Zeit in Polen, die inzwischen fast ins Plusquamperfekt versunken scheint, behandelt „Dlug“ die Gegenwart, und das ist die des Kapitalismus in seiner räuberischen Frühphase. Für Dichter ist in dieser Welt kein Platz mehr: Zwei junge Männer machen sich ins Geschäftsleben auf. Sie sind in der Gründungsphase: Der eine wird Vater und will ein Haus bauen, der andere vielleicht doch endlich die Freundin heiraten. Sie haben eine Geschäftsidee und niemand will ihnen Kredit geben. So geraten sie an einen alten Bekannten, der ihnen natürlich bald übel mitspielt. Lange dauert es, bis die beiden sich gegen die Gewalt, die ihnen widerfährt, mit Gegengewalt zur Wehr setzen.

„Dlug“ ist ein zutiefst katholischer Film: Es geht um Schuld im monetären und im moralischen Sinne und vor allem darum, wie sie zu begleichen sei. Nicht ohne Spannung erzählt, überrascht er vor allem durch dieses ganz andere Moralisieren, das man so von ähnlichen Mafiageschichten nicht gewohnt ist. Obwohl „Dlug“ sich von „Wojaczek“ nicht nur durch die Zeit der Handlung unterscheidet, treffen sie sich in einem: Das Leben tut immer noch weh.

Barbara Schweizerhof „Wojaczek“ (Forum). Regie: Lech J. Majewski. Mit Dominika Ostalowska, Krzystof Siwczyk. Polen 1999, 90 Min. Heute, 19. 2., 14 Uhr Cinestar 8 „Dlug“ (Panorama). Regie: Krzystof Krauze. Mit Robert Gonera, Joanna Szurmiej. Polen 1999, 102 Min. Heute, 19. 2., 15 Uhr Cinemaxx 7, 20. 2., 14.20 Uhr International